Wie arm ist Deutschland?

Im Frühjahr 2017 wird die Bundesregierung den 5. Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen. Schon jetzt ist bekannt, dass die Schuldenlast privater Haushalte in Deutschland seit zehn Jahren zunimmt. Aktuell sind geschätzt vier Millionen Erwachsene in zwei Millionen Haushalten – das sind rund sechs Prozent der Bevölkerung in Deutschland – soweit mit Schulden belastet, dass ihre Existenzgrundlagen akut bedroht sind. Vor dem Hintergrund dieser Fakten ist eine frühzeitige Schuldnerberatung für die Betroffenen und ihre Familien dringend notwendig.

In Deutschland existieren rund 1.100 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen. Angesichts der geschätzt vier Millionen Menschen in schwerwiegenden finanziellen Notlagen reicht dieses Angebot nicht aus, um allen Ratsuchenden ohne längere Wartezeiten Unterstützung geben zu können. Dabei sagt die bloße Zahl der Beratungsstellen noch nichts über ihre räumliche Verteilung. Fakt ist: Eine wohnortnahe Beratung ist nicht in allen Bundesländern und Kommunen gesichert. Für ein genaues Bild sind hierzu weitere Untersuchungen dringend erforderlich.

Das oft unzureichende Angebot an Schuldnerberatung in den Ländern und Kommunen ist auch eine Folge der gegenwärtigen Rechtslage: Einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung haben nur Überschuldete, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Sozialhilfe beziehen. Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose mit Bezug von Arbeitslosengeld I, Studierende, Erwerbstätige und Selbstständige können nur im Rahmen der Angebote der allgemeinen Daseinsvorsorge der Kommunen erreicht werden. Insbesondere Kommunen in strukturschwachen Regionen sind damit aber oft überfordert, eine Landesförderung ist nicht immer im ausreichenden Umfang vorhanden.
Damit ist klar – Menschen und Familien in finanziellen Notsituationen gibt es auch bei einer guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, ihre Lage dürfte sich weiter verschlimmern, wenn nicht jetzt gehandelt wird. Und – wie wir wissen oder zumindest ahnen: Eine gute wirtschaftliche Entwicklung ist nicht zwingend von Dauer!

Wie können die Lösungen für eine offene Schuldnerberatung der Zukunft in Deutschland aussehen? Ein erster Schritt kann darin bestehen, Ressourcen der Länder und der Kommunen zu bündeln und die soziale Schuldnerberatung und die Verbraucherinsolvenzberatung auf der Ebene der Kommunen regelhaft zusammenzuführen. Das Bundesland Bayern und einige andere Bundesländer haben sich hier bereits auf den Weg gemacht. Erfolgreich kann dieser Weg allerdings erst sein, wenn der Bund klarere Rechtsgrundlagen für eine „offene“ Schuldnerberatung schafft. Die Chancen hierfür könnten in der nächsten Legislaturperiode ergriffen werden.

Am 1. Februar diskutierten bei der Diakonie Deutschland in Berlin rund 60 Vertreterinnen und Vertreter der gemeinnützigen Schuldnerberatung der Freien Wohlfahrtspflege und der Verbraucherverbände, wie eine frühzeitige Schuldnerberatung für alle Menschen in finanziellen Notsituationen und ihre Familien sichergestellt werden kann. Andreas Krampe, wissenschaftlicher Referent beim Deutschen Verein, hat diese Veranstaltung moderiert. Ausrichter des Symposiums war die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Der Deutsche Verein wird die Diskussion über die offene Schuldnerberatung der Zukunft auf dem Forum Schuldnerberatung Forum Schuldnerberatung vom 2. bis 3. November 2017 in Berlin fortführen.

Zur aktuellen Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins zum Entwurf des Fünften Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung (vom 12. Dezember 2016)

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