"Honoratiorenverein" im ausgehenden 19. Jahrhundert

In den Anfangsjahren war der Deutsche Verein ein typischer Honoratiorenverein bürgerlichen Zuschnitts, in dem wirtschaftsliberale Ansichten dominierten. Als Zusammenschluss von kommunaler und privater Armenpflege gab man sich überkonfessionell und überparteilich.

Wichtige Persönlichkeiten

Foto von Wilhelm MertonWilhelm Merton
* Frankfurt a.M. 14.5.1848, † Berlin 15.12.1916
Großkaufmann, Industrieller und Sozialreformer, 1881 Begründer der Metallgesellschaft in Frankfurt a.M., Urheber zahlreicher sozialer Einrichtungen, u.a. 1899 der "Centrale für private Fürsorge", Mitbegründer der Frankfurter Universität.








Foto von Karl Victor Böhmert, © Prof. Florian Tennstedt, KasselKarl Victor Böhmert
* Quesitz b.Leipzig 23.8.1829, † Dresden 12.2.1918
Seit 1866 Professor für Nationalökonomie und St ati stik an der Universität Zürich und der Technischen Hochschule Dresden, 1875–1895 Direktor des Königlich Sächsischen Statistischen Büros, Geheimer Regierungsrat. Mitbegründer des DV und Mitglied im Zentralausschuss seit 1886.

Foto: © Prof. Florian Tennstedt, Kassel






Foto von Leo Ludwig-Wolf, © Stadtarchiv LeipzigLeo Ludwig-Wolf
* Werdau 2.12.1839, † 14.6.1935
Rechtsanwalt, 1883–1908 Stadtrat, Vorsitzender des Armendirektoriums und Generalvormund für Ziehkinder in Leipzig. 1885/86–1918 Mitglied des DV-Zentralausschusses und -Vorstands, dort Schriftführer und Schatzmeister, 1901–1911 Vorsitzender, anschließend Ehrenmitglied des DV.

Foto: © Stadtarchiv Leipzig

Von Initiativen gegen Bettelei bis zum "Elberfelder System"

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.Centrale für soziale Fürsorge, Stiftstr. 30 in Frankfurt/M., Sitz des DV 1919–1936Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., Centrale für soziale Fürsorge, Stiftstr. 30 in Frankfurt/M., Sitz des DV 1919–1936

Initiativen gegen Bettelei
Bereits 1880 auf der Ersten Armenpflege-Konferenz bildete die Bekämpfung von Bettelei und Vagabundentum ein zentrales Thema. Zahlreiche Vorschläge wurden unterbreitet, die u.a. darauf abzielten, das unkontrollierte Almosengeben durch Bürger oder private Vereine zu unterbinden und einen Arbeitszwang zu statuieren. Die freie Vereinstätigkeit sollte der Polizeiarmenpflege unterstellt werden, um die Haus- und Straßenbettelei möglichst aus der Kommune "hinauszutreiben". Darüber hinaus griff der DV die Unzufriedenheit vieler kommunaler Armenverwaltungen auf, die monierten, dass sie keine ausreichende Handhabe gegen die Verletzung der familiären Unterhalt spflicht besaßen. Gab sich ein Unterhaltsverpflichteter der "Trunksucht" hin oder legte er "unwirtschaftliches Verhalten" oder "Arbeitsscheu" an den Tag, musste die öffentliche Armenpflege für das Auskommen der Familienangehörigen sorgen. ⁄Der DV forderte deshalb die Wiedereinführung der Arbeitshausunterbringung. 1912 konnte man als Erfolg verbuchen, dass Preußen die Arbeitshausmaßregel unter ausdrücklicher Berufung auf den DV wieder einführte.

Die jährlichen Fachtagungen
Im Mittelpunkt des Vereinslebens standen die Jahresversammlungen, die zwei bis vier Tage andauerten, meist in mittleren oder Großstädten stattfanden und von einem vorbereitenden Ausschuss organisiert wurden. Dort wurden aktuelle Fragen der Armenpflege und Reformkonzepte erörtert sowie Resolutionen verabschiedet. Seit 1886 wurden die Berichte der Tagungen veröffentlicht, so dass sie in die Fachkreise und die Politik ausstrahlten und dem Expertenvotum gewissen Nachdruck verliehen. Weitere öffentliche Aufmerksamkeit konnte der DV durch die Beteiligung von Ministern oder Oberbürgermeistern an seinen Jahresversammlungen erzielen. Zu den herausragenden Persönlichkeiten der Gründerzeit gehörten der erste Vereinsvorsitzende Straßmann und sein Nachfolger, der Krefelder Landtagsabgeordnete Ludwig Friedrich Seyffardt. Später traten der Leipziger Stadtrat Leo Ludwig-Wolf, der Berliner Stadtrat Emil Münsterberg und der Colmarer Justizrat Heinrich Ruland an die Spitze des Vereins

Das "Elberfelder System" der Armenpflege
Eine wesentliche Rolle in der Vereinsarbeit spielten statistische Erhebungen, die objektives Material über die Armenpflege zur Verfügung stellen sollten. Hervorzuheben ist das grundlegende Werk des DV-Gründungsmitglieds Karl Victor Böhmert "Das Armenwesen in 77 deutschen Städten und einigen Landarmenverbänden" von 1886/1887. Ein zweiter Schwerpunkt der Vereinsarbeit lag auf der Organisation der Armenpflege. Der DV trat nachdrücklich für das "Elberfelder System" ein, das den Einsatz von unbezahlten bürgerlichen Armenpflegern in ihren jeweiligen Stadtbezirken zur Entlastung der Kommunalbeamten vorsah. Das Elberfelder System verfolgte als Leitidee, die Prinzipien von Individualisierung, Dezentralisierung und Ehrenamtlichkeit konsequent umzusetzen. Eng damit verbunden war die Einbeziehung der privaten Stiftungen und Verbände, die die öffentliche Wohlfahrt ergänzen sollten. Der DV favorisierte deshalb die Zusammenfassung der Privatwohltätigkeit. Bedeutende Einrichtungen dieser Art, die mit dem DV in Verbindung standen, waren die 1899 von dem Industriellen Wilhelm Merton gegründete "Centrale für private Fürsorge" in Frankfurt a.M. und die 1893 gebildete "Zentrale für private Fürsorge" in Berlin.

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