FF 1.6 Neue Arbeitswelten: Wir brauchen eine schnelle Reform der sozialen Sicherung

Zusammenfassung

Neue Arbeitswelten: Wir brauchen eine schnelle Reform der sozialen Sicherung
Umbrüche in der Arbeitswelt stellen die sozialen Sicherungssysteme vor neue Herausforderungen. Mit Digitalisierung und neuer Arbeitsteilung nimmt die Zahl derjenigen Erwerbspersonen zu, bei denen sich abhängige und selbständige Tätigkeiten abwechseln oder miteinander verbinden. Diese Erwerbspersonen mit hybriden Erwerbsformen sind ebenso wie Selbständige mit geringen Einkommen oft unzureichend in die soziale Sicherung einbezogen.
Prof. Dr. Uwe Fachinger, Universität Vechta, gab einen Überblick über hybride Erwerbsformen und soziale Sicherung. Die Digitalisierung führt zu einer immer größeren Zahl an selbständig Beschäftigten in den unterschiedlichsten Formen und Abfolgen zu abhängiger Beschäftigung. Fallkonstellationen sind prinzipiell dann problematisch, wenn keine oder nicht für jede Form der Erwerbstätigkeit eine Risikoabsicherung vorhanden ist. Für Personen mit hybriden Erwerbsformen wäre bei der Konstruktion eines sozialen Sicherungssystems mit seinen Teilelementen deren Abstimmung aufeinander, die zeitliche Dimension sowie die sich ggf. in der Erwerbsbiografie wechselnde Beschäftigung (linear und/oder parallel) zu beachten. Als Lösungsweg befürwortet Fachinger die Einführung einer Versicherungspflicht für jede Erwerbstätigkeit mit einkommensabhängiger Beitragszahlung aus allen Einkunftsquellen.
Prof. Dr. Enzo Weber, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), stellte Möglichkeiten einer umfassenderen und effektiveren Absicherung von Selbständigen in der Arbeitslosenversicherung dar. Im Sinne eines besseren Zugangs wäre es wünschenswert, wenn sich alle Selbständigen versichern könnten. Es bestünde allerdings bei frei wählbarem Zeitpunkt die Gefahr, dass diese Möglichkeit dann gerade diejenigen anzieht, für die eine Geschäftsaufgabe schon absehbar ist. Dem könnte mit einer grundsätzlichen Prüfung entgegengewirkt werden. Dabei thematisierte er auch eine Absicherungsform, die vergleichbar mit dem Kurzarbeitergeld bei kurzzeitigen vorübergehenden Einkommensausfällen ist.
Dr. Reinhold Thiede, DRV Bund, referierte zur "Obligatorischen Altersabsicherung Selbständiger“. Er stellt die Anforderungen an die Verankerung einer gesetzlichen Pflicht zur Altersabsicherung dar. Dabei ging er gezielt auch auf die bereits in der letzten Legislaturperiode angedachte Opt-Out-Möglichkeit und deren Ausgestaltung ein. Hinsichtlich der im Koalitionsvertrag der Ampel präferierten zwei Jahre Karenzzeit hegte er erhebliche Bedenken. Die Vermeidung von Altersarmut wird damit nur schwerlich erreichbar sein. Ziele einer obligatorischen Altersabsicherung Selbständiger müssen die Vermeidung von Altersarmut, von Marktverzerrungen sowie einer ungerechtfertigten Umverteilung in der Rentenversicherung sein. Es braucht daher nicht eine schnelle, sondern eine zielgenaue Reform der sozialen Sicherung.
In der abschließenden Podiumsdiskussion, welche Karin Kramer, Deutscher Caritasverband e.V., moderierte, wurden die Expert/innen Veronika Mirschel, verdi, und Marcus Pohl, isdv e.V., hinzugezogen. Hier wurden insbesondere die Aspekte einer Verbeitragung jeglichen Erwerbseinkommens und die verschiedenen Notwendigkeiten von Karenzzeiten bei der Einbindung von Selbständigen in die sozialen Sicherungssysteme sowie konkrete Aspekte der Ausgestaltung der Absicherung diskutiert.

Mitwirkende

Moderation

  • Karin Kramer, Leiterin des Referats Lebensläufe und Grundsatzfragen im Deutschen Caritasverband e. V., Freiburg


Vortrag/Diskussion

  • Prof. Dr. Uwe Fachinger, Professor für Ökonomie und Demographischer Wandel an der Universität Vechta
  • Veronika Mirschel, Referat Selbstständige im ver.di - Bundesvorstand, Berlin
  • Marcus Pohl, 1. Vorsitzender der Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleisterinnen und Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft, Eschborn
  • Dr. Reinhold Thiede, Abteilungsleiter Forschung und Entwicklung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, Berlin
  • Prof. Dr. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg

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