FF 1.5 Grundsicherungssysteme in Europa

Zusammenfassung

Grundsicherungssysteme sollen die Führung eines Lebens ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Um diesem Anspruch zu genügen, finden die Staaten ähnliche, im Detail aber auch sehr unterschiedliche Lösungen, um ihre Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen.
Welche Leistungen gelten als ausreichend und welche Personengruppen werden erfasst? Wie ist es um die tatsächliche Inanspruchnahme durch die Leistungsberechtigten bestellt und wie wird der wirksame Zugang zu den notwendigen sozialen Dienstleistungen organisiert? Welche gesellschaftlichen Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit der Systeme ergeben sich? Die Europäische Union will ihre Mitgliedstaaten durch einen gemeinsamen EU-Rahmen darin unterstützen, die Modernisierung ihrer Grundsicherungssysteme voranzubringen und sie als wichtiges Element leistungsfähiger Sozialstaaten zu stärken.

Sabine Knickrehm stellte in ihrer Einleitung aktuelle Diskussionen in Deutschland und Europa vor, wies auf die EU-Ratsschlussfolgerungen zur Stärkung der Grundsicherungssysteme der Mitgliedstaaten aus dem September 2020 hin und zeigte die Verankerung dieser Systeme in den europäischen Verträgen und der "Europäischen Säule sozialer Rechte“ auf.

Dr. Eva Maria Hohnerlein analysierte die vielfältigen Formen und Systeme in den Mitgliedstaaten, erläuterte die gemeinsame Ausrichtung auf menschenwürdige Leistungen und zeigte aktuelle Entwicklungslinien bei der Ausgestaltung auf. Schwerpunkte der Analyse waren die Zugangs- und Bezugsvoraussetzungen, die Leistungshöhen und Anpassungsregelungen, die Verknüpfung mit sozialen Diensten insb. zur Erwerbsintegration sowie die Fragen von Schutzlücken und Nicht-Inanspruchnahme.

Ulrike Geith informierte über die Aktivitäten der Bundesregierung insbesondere zur Vorbereitung der EU-Ratsschlussfolgerungen im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 und aktuell zur Gestaltung eines neuen EU-Instruments. Dieses solle nun Verbesserungen in den Bereichen Zugang, Angemessenheit und Befähigung bringen, nachdem die Mitgliedstaaten im Laufe der letzten Jahre und Krisen ein gemeinsames Verständnis von Grundsicherungssystemen als grundlegend für ihre Sozialstaaten entwickelt hätten. Die Kommission habe einen Vorschlag für das zweite Halbjahr 2022 angekündigt; zu rechnen sei mit dem Instrument der Ratsempfehlung.

Marius Isenberg stellte die nationale und europäische Arbeit der AWO zum Thema vor und informierte über die Forderungen der Zivilgesellschaft nach einem effektiven, möglichst rechtsverbindlichen EU-Instrument zur Stärkung der Grundsicherungssysteme, möglichst in Form einer Richtlinie. Für die neue EU-Initiative brauche es ein Bekenntnis zu substanziellen Fortschritten durch ambitionierte Mindeststandards, die auch flexibel an aktuelle Härten angepasst werden könnten (Energiearmut, Anstieg der Lebenshaltungskosten). Ziel müsse die umfängliche gesellschaftliche Teilhabe sein.

Peter Stanzl beschrieb die kontroversen Diskussionen zur Ausgestaltung der Sozialhilfe in Österreich, seit diese auf Basis eines Bundes-Grundsatzgesetzes in den Bundesländern sehr unterschiedlich erbracht sowie durch Deckelungen beschränkt werde und verstärkt auf Sachleistungen ausgerichtet sei. Er ging auf diesbezügliche Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs wie auch auf Forderungen der Zivilgesellschaft ein und stellte die Mindestsicherung in der Stadt Wien vor, die zwei Drittel der österreichischen Leistungsbeziehenden erfasst.

Das Publikum thematisierte insbesondere die mögliche Rolle der EU bei der Finanzierung, ggf. durch Strukturfonds (z.B. ESF+), und die Chancen, diese für soziale Innovationen innerhalb der nationalen Systeme zu nutzen.

Mitwirkende

Impuls

  • Dr. Eva Maria Hohnerlein, Referentin im Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München


Moderation

  • Sabine Knickrehm, Vorsitzende Richterin am Bundessozialgericht, Kassel


Vortrag/Diskussion

  • Ulrike Geith, Referatsleiterin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin
  • Dr. Eva Maria Hohnerlein, Referentin im Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München
  • Marius Isenberg, Referent im AWO Bundesverband e.V., Berlin
  • Peter Stanzl, Gruppenleiter Stadt Wien und Österreichisches Komitee für Soziale Arbeit (ÖKSA), Wien

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