FF 3.9 Die neue EU-Verordnung Brüssel IIb – Was ändert sich für die Kinder- und Jugendhilfe und Familiengerichte?

Zusammenfassung

Seit 2003 gilt die Verordnung Brüssel IIa. Zum 1 August 2022 wird die neue Brüssel-IIb-Verordnung in Kraft treten. Sie ist das wichtigste Regelwerk zur Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur elterlichen Sorge sowie zu grenzüberschreitenden Mitteilungen zum Kinderschutz innerhalb der europäischen Union. Einige der Reformen wirken sich unmittelbar auf die praktischen Wege der Zusammenarbeit in Einzelfällen zwischen den in den jeweiligen Ländern beteiligten Diensten aus und haben damit unmittelbare Konsequenzen für die Arbeit der Jugendhilfe vor Ort.
Ulrike Jansen, Referatsleiterin Internationales Sorgerecht im Bundesministerium der Justiz, eröffnete mit einer Einführung in die justizielle Zusammenarbeit innerhalb Europas. Grundprinzip ist: Jeder Mitgliedsstaat handelt innerhalb seines rechtlichen Rahmens und die anderen erkennen dies jeweils an. Zweiter elementarer Baustein ist die Anknüpfung an den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Die Referentin arbeitete heraus, wie beide Prinzipien in einer historischen Perspektive ihre Vorläufer, ja direkten Vorbilder, in den zeitlich früher inkraftgetretenen Abkommen der Haager Konferenz haben, dem Minderjährigenschutzabkommen von 1961, dem Kindesentführungsübereinkommen von 1980 sowie dem Kinderschutzübereinkommen von 1996. Die BIIa-Verordnung wurde dann in den letzten 20 Jahren zu dem wichtigsten "Handwerkszeug“ all derer, die mit Kindschaftssachen in der EU grenzüberschreitend befasst waren. Unzählige Detailfragen wurden über die Jahre durch den EuGH geklärt. Als aus ihrer Sicht wichtigste Neuerung, die lange geplant war, kann der Wegfall des sogenannten Exequaturverfahrens genannt werden: Damit sind von nun an ausländische Titel unmittelbar vollstreckbar – ohne ein gesondertes Vollstreckbarerklärungsverfahren.
Christian Höhn verwies zunächst auf den sehr weiten Anwendungsbereich. Zwar ist die Rede von "Zivilsachen“, aber er umfasst neben Sorgerecht und Umgangsfragen eben auch die Bereiche Kinderschutz und Jugendhilferecht. Außerdem versteht die Verordnung unter dem Begriff "Gericht“ jede Behörde, die zu Entscheidungen in diesem Bereich befugt ist. Der Referent ging dann in der Folge tief in die Details des neuen Regelwerks ein und beschäftigte sich mit Fragen der Zuständigkeitsbegründung, der zunehmenden Schwierigkeit der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bei neuen und mobiler werdenden Familienmodellen sowie den harmonisierten Vorgaben in der neuen Verordnung für die Anerkennung von Entscheidungen und auch für Gründe, selbige zu versagen. Eine wichtige Neuerung stellt hier aus seiner Sicht dar, dass bislang nur behördliche Entscheidungen anzuerkennen waren, von nun auch bspw. in vielen Ländern mögliche notarielle Vereinbarungen zwischen Elternteilen anzuerkennen sind.
Daran schloss sich durch eine Frage eines Mediators aus dem Publikum eine spannende Diskussion zu den Möglichkeiten außergerichtlicher Streitbeilegung durch gerichtlich oder notariell protokollierte und dann später im jeweils anderen Land anerkennungsfähige und auch vollstreckbare Vereinbarungen an.

Mitwirkende

Moderation

  • Jan Fries, Fachberater Abteilung Jugend, Landschaftsverband Rheinland (LVR), Köln


Vortrag/Diskussion

  • Christian Höhn, Referatsleiter Internationales Sorgerecht, Bundesamt für Justiz, Bonn
  • Ulrike Janzen, Referatsleiterin Internationales Privatrecht, Bundesministerium der Justiz, Berlin

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