Reine Verwahrung reicht nicht aus

Ein Impuls von Daniel Grein und Maria-Theresia Münch

Beim Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern müssen Plätze, Personal und Qualität gleichzeitig gedacht und geplant werden – und nicht nacheinander.


Der Schuleintritt der Kinder bedeutet für ihre Eltern oft eine neue – vor allem aber nicht mehr ganztägige – Betreuungssituation, die es sehr schwer bis unmöglich macht, Familie und Erwerbsarbeit gut miteinander vereinbaren zu können. Nach der Zeit eines durch Rechtsansprüche gesicherten Angebots fehlen für Kinder im Grundschulalter Betreuungs-, Freizeit- und Erholungs- sowie insbesondere Ferienangebote. Manchen Eltern bleibt dann nur die Möglichkeit, dass ein Elternteil die Erwerbsarbeit wieder aufgibt. Für Alleinerziehende kann es bedeuten, (wieder) von staatlicher Unterstützung abhängig zu sein. Daher ist der im Koalitionsvertrag geplante Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter bis 2025 zwar ein ambitioniertes aber gleichermaßen wichtiges Projekt der Bundesregierung.

Was wünschen sich Eltern und was brauchen Kinder?


Eltern wünschen sich in der Betreuungssituation nicht die Ausweitung des Unterrichts auf den Nachmittag, sondern dass ausreichend Freizeit- und Erholungsangebote sowie interessante, lebensweltnahe Projekte angeboten werden. Gleiches gilt für die Kinder. Die Zeit in der Grundschule ist eine zentrale Entwicklungsphase im Alter der Kinder. Die zunehmende Ablösung von den Eltern, die Forderung nach Leistung und "Bildungserfolgen", die Peer-Gruppen prägen das Leben der Kinder mit steigendem Alter. Sie verbringen sehr viel Zeit in (von Erwachsenen) organisierten Settings, haben aber gleichzeitig ein großes Bedürfnis nach mehr Eigenverantwortlichkeit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Deshalb ist es von immenser Bedeutung für die Kinder, Angebote außerhalb von Unterrichtszeiten und auch außerhalb von Schule zu schaffen, die ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Autonomie und Aktivität ermöglichen.

Rechtsanspruch ist nicht nur eine Frage von Räumlichkeiten und Fachkräften


Selbstverständlich wird es eine große Herausforderung für alle Beteiligten v.a. für die Kommunen und Träger sein, die für einen Rechtsanspruch notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie die damit verbundenen Kosten aufgebracht, wie die Räumlichkeiten beschafft und vorgehalten werden und v.a. woher die ohnehin fehlenden Fachkräfte kommen sollen, sind Fragen, die einen vor der Umsetzbarkeit fast schon zurückschrecken lassen. Die Antwort auf diese – unbestritten – wichtigen Fragen schafft zwar einen Anspruch, dass Grundschulkinder in irgendeiner Form in einem kunterbunten Flickenteppich von Angebotsformen, Qualitäten, Zuständigkeiten verwahrt werden. Was damit nicht geschaffen wird, ist ein qualitativ gutes und dem Alter der Kinder entsprechendes Angebot. Aber genau dieses wird benötigt. Deshalb wird es nicht ausreichen, den Fokus nur auf Räumlichkeiten und Personalgewinnung zu richten.

Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen – Strukturen, Finanzen, Personal jetzt einbetten in eine konzeptionelle und qualitative Rahmung!


Die Fehler, wie sie beim Ausbau der Plätze für Kinder unter drei Jahren gemacht wurden – „Erst die Plätze, dann Personal und zum Schluss vielleicht noch Qualität“ – sollten nicht wiederholt werden. Deshalb ist es jetzt wichtig, über die konzeptionelle Rahmung und die qualitative Umsetzung dieses neuen Rechtsanspruches nachzudenken. Zu groß ist die Gefahr, nach zehn Jahren wieder festzustellen, dass die Betreuungslandschaft in Deutschland für diese Altersgruppe überall anders gestaltet ist, mit der Konsequenz, sehr viel später noch ein "Grundschulbetreuungsqualität-Entwicklungsgesetz" initiieren zu müssen, wie derzeit das Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und Teilhabe in der Kindertagesbetreuung. Deshalb gilt es jetzt, umfassender zu denken und zu planen, als später mit hohem Aufwand nach zusteuern.

Das Feld der Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter ist in ihren Angebotsformen sehr heterogen und reicht von Mittagsbetreuung mit Hausaufgabenhilfe über Hortangebote bis zu offenen Ganztagsschulen mit umfangreichen Programmen freier Träger. Was fehlt, ist ein grundlegendes Verständnis für den Bereich der außerschulischen und außerunterrichtlichen Betreuungsangebote. Daran sollte eine Normierung im SGB VIII ansetzen. Nur eine solche Grundlage lässt Fragen zur Angebotsqualität oder zur Gewinnung und Qualifizierung von Personal sinnvoll beantworten. Dabei ist es weder notwendig noch sinnvoll, von heute auf morgen alle vielfältigen Formen der Betreuung einzustampfen und ein bundeseinheitliches Konzept zu etablieren.

Unserer Ansicht nach ist auch davor zu warnen, den Prozess mit der überzogenen Erwartung zu überfrachten, Schule in ihrem Auftrag, ihrer Methodik oder Gestalt mitzureformieren.

Was aber der Anspruch sein muss, ist ein im SGB VIII formuliertes übergreifendes Verständnis, das sich in allen verschiedenen Angebotsformen verpflichtend wiederfindet. In den Blick zu nehmen ist dabei nicht eine leistungsorientierte Bildung im schulischen Sinne, sondern der Prozess der Verselbstständigung und die Selbstpositionierung junger Menschen, wie sie der 15. Kinder- und Jugendbericht aufgreift; oder um mit dem SGB VIII § 1 selbst zu sprechen "die Förderung der Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit". Ausgehend davon sind Fragen von Partizipation, dem Einbezug nonformaler Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, Sport und Kultur, die Frage, wie die Kooperation zwischen Schule und Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann, und die Fragen, welche Qualifikation das pädagogische Personal mitbringen muss, wie multiprofessionelle Teams implementiert werden können und welche Fachkraft-Kind-Relationen notwendig sind, als Rahmung zu beantworten.

Es braucht einen gemeinsamen Diskussionsprozess mit allen zentralen Akteuren!


Es gilt jetzt zwischen allen Beteiligten, den Kommunen, Ländern, Bund sowie Schulen und der öffentlichen und der freien Jugendhilfe gemeinsam einen Rechtsanspruch auszugestalten, der nicht nur Eltern, sondern auch Kindern zugutekommt. Die Herausforderung ist groß, aber gerade deshalb sollte sie zügig und ohne Furcht angegangen werden. Der Deutsche Verein hat bereits 2014 – also bevor ein Rechtsanspruch überhaupt in den Blick genommen wurde – mit seinen Empfehlungen zur Schulkinderbetreuung erste Zielvorstellungen und Umsetzungsvorschläge für die konzeptionelle und qualitative Ausgestaltung eines solchen Rechtsanspruches formuliert. Diese sind nach wie vor aktuell.

Zu den Autoren

Foto von Daniel Grein, © Michael Scholl/DBJR.Daniel Grein ist Leiter des Arbeitsfelds II im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.

Foto von Maria-Theresia Münch, © Holger GroßMaria-Theresia Münch ist als wissenschaftliche Referentin im Arbeitsfeld II tätig und zuständig für die Themen Kindertagesbetreuung, Frühe Bildung, Personal in der Kindertagesbetreuung, Weiterentwicklung der Fachberatung/Fachdienste /Träger.

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