Drei Fragen an Karl Materla

Foto von Karl Materla
Karl Materla ist seit 2014 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft ASD/KSD und war zuletzt rund 20 Jahre als ASD-Leiter in einem Großstadtjugendamt tätig. Im Interview beleuchtet er die fachlichen Anforderungen, die organisatorischen Entwicklungsbedarfe und die Arbeit im ASD.




dv aktuell: Worin sehen Sie die gegenwärtig herausragenden fachlichen Anforderungen an den ASD?

Karl Martela: Die personellen Engpässe in vielen ASDs sind gravierend. Verursacht durch den demografischen Wandel, weiter anhaltende kommunale Sparmaßnahmen in den Stellenplänen und die vielerorts spürbar sinkende Attraktivität des Berufsfeldes ASD beschleunigen einen Auszehrungsprozess: dringende Stellenbesetzungen scheitern an nachlassender Bewerberlage, führen zu anhaltender Stellenvakanz, erhöhter Vertretungsbelastung. Daraus folgt ein Trend zu kürzerem Verbleib von eingearbeitetem Personal. Und dies alles bei jährlich zwischen 5–10 % steigenden Fallzahlen in den Hilfen zur Erziehung, dem Kinderschutz und den Eingliederungshilfen.

Die Bearbeitung von Fällen des Kinderschutzes sind in Zeiten des Internets und der Vernetzung von Tätergruppen in eine neue Dimension geraten. Das Erkennen von Gefährdungslagen mit sozialpädagogischen Mitteln ist erschwert, ohne eine enge Kooperation mit Polizeibehörden und Familiengerichten kann Sozialarbeit nicht die gesellschaftlichen Erwartungen ausreichend erfüllen. Der Kinderschutz dominiert wie keine andere Aufgabe das Geschehen in den ASDs und ist besonders für Nachwuchskräfte mit erheblichen Anstrengungen verbunden. Die Zahl der Gefährdungseinschätzungen gem. § 8a SGB VIII stieg von 2017 auf 2018 bundesweit von 143 auf 157 Tausend.

Die überfällige SGB VIII-Reform blockiert notwendige Anpassungsprozesse im Kinderschutz, in der Heimaufsicht, im Pflegekinderwesen und in der Inklusion. Durch die neuen Vorgaben des SGB IX entstehen paradoxe Lagen: in NRW und Bayern findet Inklusion unter dem Dach der Jugendämter jedenfalls nicht statt. Hier entscheidet zwischen seelisch und geistiger Behinderung weiterhin der IQ darüber, ob das örtliche Jugendamt oder eine Landesbehörde/ein Landschaftsverband für die Eingliederungshilfen zuständig ist.

dv aktuell: Welche organisatorischen Entwicklungsbedarfe ergeben sich daraus?

Karl Martela: In Kooperation mit den Hochschulen und Landesjugendämtern muss die Aufmerksamkeit für das Arbeitsfeld ASD und die darauf bezogene Qualifizierung in der frühen Phase der Berufsfindung vorangetrieben werden. Kommunale Anstellungsträger müssen die Arbeitsbedingungen individuell flexibler handhaben, die technische Ausstattung verbessern, Supervision und Fortbildung (z.B. "neu im ASD") regelhaft verankern und in den Stellenplänen Überhangstellen einrichten, um Vakanzen zu reduzieren.

Im Kinderschutz sind Anstrengungen zur Qualifikation und Kooperation (besonders im Bereich des sexuellen Missbrauchs) zu intensivieren. Jedes (auch kleinere) Jugendamt braucht mindestens eine freigestellte Kinderschutzfachkraft, die die fallübergreifenden Abläufe und Strukturen einrichtet und koordiniert. ASDs sind bislang auch gesetzlich zu einseitig auf Kooperationsangebote ausgerichtet. Schulen, das Gesundheitswesen und z.B. die Gerichte sind weitgehend unverbindlich zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Fortbildung bereit oder in der Lage.

In den Bundesländern mit einer kommunalen Zuordnung (Kreise und kreisfreie Städte) als Träger der Eingliederungshilfe werden ab 2020 erhebliche Anstrengungen für die Bewältigung der Verpflichtungen aus Teil 2 des SGB IX entstehen.

Die Inklusion für behinderte junge Menschen in der Zuständigkeit der öffentlichen Jugendhilfe (Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen) kann hier ernsthaft aufgebaut werden: als bürgernahe, bedarfsgerechte und auf Partizipation angelegte Leistungsangebote für junge Menschen, gleich welcher Behinderungsform. Besonders bei ASDs mit ihren Spezialdiensten für die Eingliederungshilfen gem. §35a SGB VIII und zukünftig für weitergehende Hilfen nach SGB IX sind die fachlichen und personellen Anforderungen erst schrittweise zu realisieren. Dazu bedarf es personeller Ressourcen, Fortbildungsmaßnahmen und neuer Wege der Kooperation.

dv aktuell: Ich arbeite gern im ASD, weil …
in der Abwägung aller Anforderungen an die ASD-Arbeit positive Botschaften für sozialpädagogische Fachkräfte auf der Habenseite stehen:

  • eine hohe Selbstwirksamkeit und Kreativität bei der Suche nach Lösungen im Einzelfall auch persönlich erlebt werden kann,
  • ASD Fachkräfte eine Schlüsselstellung für die gesellschaftliche Verpflichtung des sozialen Ausgleichs im Gemeinwesen (Bezirk oder Stadtteil) und des Miteinanders von Kindern und Eltern in Familien einnehmen,
  • Bundesweit und örtlich zunehmend öffentliche Wertschätzung dieser wichtigen Aufgaben zum Ausdruck kommt und
  • eine tragfähige, intensive, kollegiale und fachliche Gemeinschaftsleistung in den Teams der ASDs stattfindet: ASD ist nichts für Solisten, Reflexion in der Fallarbeit geht nur im "Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte…" – so wachsen starke Persönlichkeiten


dv aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.

nach oben