Drei Fragen an Dr. Matthias Quent

Drei Fragen an Dr. Matthias Quent

Foto von Dr. Matthias Quent, Sio MotionDr. Matthias Quent ist Soziologe und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rechtsradikalismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. Für unser aktuelles Archivheft hat er den einführenden Beitrag mit Judith Rahner über "Rechtsextremismus: Begriff, Forschungsansätze und die Relevanz für die Soziale Arbeit" verfasst.


Foto: Sio Motion





dv aktuell: Auf welchen Ebenen ist Soziale Arbeit aktuell mit rechtsextremen Ideologien und Strategien konfrontiert?

Dr. Matthias Quent: Soziale Arbeit ist auf mehreren Ebenen mit Rechtsextremismus konfrontiert: Erstens, weil die Erscheinungen und Elemente des Rechtsextremismus der Wertegrundlage Sozialer Arbeit antagonistisch entgegenstehen. Zweitens, weil Betroffene von Rechtsextremismus und Rassismus Klientinnen und Klienten von Sozialer Arbeit sind. Drittens arbeiten viele Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Projekten zur Extremismusprävention und zur Demokratieförderung – da hat sich mittlerweile ein eigenes Arbeitsfeld entwickelt. Viertes, weil Praktikerinnen und Praktiker in vielen Bereichen mit Einstellungen und Verhaltensweisen konfrontiert sind, die zumindest auch einzelne Elemente des Rechtsextremismus darstellen, zum Beispiel Antisemitismus oder Rassismus. Das heißt, auch Menschen mit rechtsextremen Orientierungen sind mitunter Klientinnen oder Klienten. Fünftens finden sich auch unter Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Studierenden der Sozialen Arbeit rechtsextreme Einstellungen und extrem rechte Akteure: Immer wieder rufen Rechtsextreme dazu auf, etwa in pädagogische Berufe zu gehen, sich als Kümmerer zu etablieren und dadurch Einfluss auf die politische Sozialisation junger Menschen zu nehmen. Sechstens werden die Soziale Arbeit, ihre Fachlichkeit und ihre Wertgrundlagen zunehmend durch die extreme Rechte in Frage gestellt, bis hin zum Entzug von Fördermitteln, wie jüngst für die Aktion Zivilcourage im sächsischen Pirna. Sozialpolitikerinnen und Sozialarbeiter, Träger und Praktikerinnen und Praktiker sind vor allem mit dem parlamentarischen Arm der extremen Rechten, der AfD, konfrontiert. Siebtens ist der Rechtsextremismus auch Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheiten, Verwerfungen und des sozialen Wandels, mit denen sich auch die Soziale Arbeit beschäftigt. Sicherlich gibt es noch weitere Ebenen.

dv aktuell: Was könnte der spezifische Beitrag Sozialer Arbeit im Kampf gegen Rechts sein?

Dr. Matthias Quent: Die Soziale Arbeit muss die Auseinandersetzungen mit dem Rechtsextremismus auf den genannten Ebenen führen – arbeitsteilig, mit Haltung und einem Verständnis um die Ziele und Strategien der Akteure. Wichtig ist es, solidarisch zu sein mit Einrichtungen, die von rechts außen angegriffen werden: Von der Arbeit mit Geflüchteten über Frauen- und Migrationseinrichtungen, Soziokultur, NGO’s oder die politische Bildung. Aber der entscheidende Beitrag dreht sich aus meiner Sicht um die siebte Ebene: Die Bearbeitung der Ursachen von Rechtsextremismus, um zu verhindern, dass überhaupt erst Affinitäten für extrem rechte Einstellungen und deren Akteure entstehen. Mein Eindruck ist, dass gerade in diesem Bereich die Herausforderungen schneller wachsen als die notwendigen Mittel, beispielsweise im digitalen Bereich oder in der Aushandlung des Verhältnisses von sozial-ökologischer Transformation und gesellschaftlichem Zusammenhalt.


dv aktuell: Wie wird die "Coronakrise" von rechten Akteurinnen und Akteuren genutzt und wie sollte man darauf reagieren?

Dr. Matthias Quent: Ja. Extrem Rechte versuchen gezielt, sich als die Stimme der Unzufriedenen und Zweifler zu etablieren. Auch wenn die AfD in Prognosen derzeit verliert, ist zu befürchten, dass die kommende Wirtschaftskrise dem Rechtsextremismus einen neuen Nährboden liefert. Der Mindeststandard muss Abgrenzung von Antisemitismus, Rassismus, Verschwörungsideologien und anderen Elementen des Rechtsextremismus sowie von dessen Protagonisten sein. Aufklärung ist wichtig und Solidarität mit schwachen Gruppen. Und dann müssten auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter lauter werden, um auf soziale Missstände hinzuweisen. Das Feld der Kritik an Missständen darf nicht rechten Populisten und Extremisten überlassen werden.

dv aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.

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