1. Einleitung
Mehr als zwei Drittel der 2,7 Millionen arbeitsuchenden und erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die von den Jobcentern in Deutschland betreut werden, haben keinen Berufsabschluss. Dieser andauernde berufliche Bildungsnotstand verschärft den Fachkräftemangel, hemmt die wirtschaftliche Entwicklung und ihren ökologischen Strukturwandel und trägt zu einer weiteren Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitleistungsbezug bei.

Der Deutsche Verein fordert deshalb bereits seit einigen Jahren eine stärker abgestimmte rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit, damit kein junger Mensch am Übergang von der Schule in den Beruf verloren geht. Er setzt sich dafür ein, Leistungsberechtigte im SGB II stärker als bisher in die Förderung der beruflichen Weiterbildung einzubeziehen. Er bewertet Berufsausbildung und Berufsausbildungsförderung als zentral für die Integration von Geflüchteten.
Mit den folgenden Empfehlungen richtet der Deutsche Verein die Aufmerksamkeit auf die berufliche Nachqualifizierung. Diese richtet sich an Erwachsene ohne (verwertbaren) Berufsabschluss in der Regel ab einem Alter von 25 Jahren, die bereits berufliche Erfahrung gesammelt haben, aber aus persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen keine Berufsausbildung oder klassische Umschulung, die sich ursprünglich an Berufswechsler/innen richtet, beginnen oder abschließen können. Ziel ist der nachholende Erwerb eines anerkannten Berufsabschlusses, der Zugang zu einer nachhaltigen Erwerbsintegration als Fachkraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eröffnet.

Der Deutsche Verein tritt dafür ein, berufliche Nachqualifizierung verstärkt für die Integration von Leistungsberechtigten im SGB II zu nutzen und hierzu erforderliche Strukturen zu entwickeln und dauerhaft zu etablieren. In die berufliche Nachqualifizierung sollen auch Leistungsberechtigte einbezogen werden, die zunächst in einfache Beschäftigung übergegangen sind mit dem Ziel, sich als Fachkräfte weiter zu bilden. Hierzu stellen die Ausrichtung der Angebote an den Qualifizierungsbedarfen vor Ort, eine aktive und adressatengerechte Ansprache der Leistungsberechtigten und Betriebe, die Intensivierung von Beratung, die Umsetzung zielgruppengerechter Lern- und Qualifizierungsformen sowie die Verzahnung beruflicher Qualifizierung mit den Strukturen vor Ort zentrale Gelingensbedingungen dar. Die berufliche Nachqualifizierung soll integriertes Lernen mit Verknüpfung von Theorie und Praxis sowie nach Bedarf sozialpädagogische Begleitung umfassen und auch in Teilzeit ermöglicht werden können. Modulare Qualifizierungskonzepte sollen als Instrument beruflicher Nachqualifizierung weiterentwickelt werden.

Zum 1. Januar 2025 wird die Zuständigkeit für die Förderung beruflicher Weiterbildung von Leistungsberechtigten im SGB II von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit übergehen. Die Identifizierung eines Weiterbildungsbedarfs, die Gesamtverantwortung für die Integration und das an eine Qualifizierungsmaßnahme anschließende Absolventenmanagement verbleiben jedoch bei den Jobcentern. Der Deutsche Verein plädiert deshalb dafür, dass die Jobcenter auch zukünftig eine aktive Rolle für die Realisierung von Weiterbildungen wahrnehmen. Nur so können die Jobcenter ihre gesetzlichen Aufgaben zur Betreuung und Beratung der Leistungsberechtigten im SGB II erfüllen. Die Jobcenter sollen mit den Agenturen für Arbeit als aktive Partner in Netzwerken beruflicher Nachqualifizierung handeln. Es braucht dezentral verantwortete Verabredungen zwischen Jobcentern und Agenturen für Arbeit, damit Übergänge in berufliche Weiterbildung gelingen.

Mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz und der Einführung des Bürgergeldes wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die abschlussorientierte Weiterbildung für Leistungsberechtigte im SGB II verbessert. Die Chancen gilt es nun in der Praxis zu nutzen.

Mit den folgenden Empfehlungen will der Deutsche Verein den Arbeitsmarkt-, Integrations- und Bildungsverantwortlichen in Jobcentern, Agenturen für Arbeit, freien Trägern, Bildungsanbietern und Betrieben, Kommunen und den Kammern sowie den weiteren zuständigen Stellen6 der beruflichen Bildung Impulse geben, die komplexe Aufgabe beruflicher Nachqualifizierung für Leistungsberechtigte im SGB II umzusetzen. Die Empfehlungen folgen damit einem Bottom-Up-Ansatz. Die Landes- und Bundesebene müssen flankieren. Einen weiteren Handlungsbedarf hierzu zeigen die Empfehlungen auf.

dv19-23_nachqualifzierung_sgbii.pdf [PDF, 313 KB]

Sprechen Sie uns an:

 –

Andreas Krampe

Arbeitsfeldleiter Sozialpolitische Grundsatzfragen; Sozialer Arbeitsmarkt; Förderung der beruflichen Weiterbildung