Im Gefüge des bundesdeutschen Sozialstaates

Der Zeitraum zwischen den grundlegenden sozialpolitischen Reformgesetzen der Adenauerzeit und der deutsch-deutschen Vereinigung ist durch zwei unterschiedliche Phasen gekennzeichnet: Zunächst setzte sich der Ausbau der Sozialleistungen bis in die Mitte der 1970er-Jahre fort, ehe die Zunahme der finanziellen Belastungen dazu führte, dass verstärkte Einsparbemühungen unternommen wurden. Diese Rahmenbedingungen bestimmten auch die Handlungsspielräume des Deutschen Vereins.

Wichtige Persönlichkeiten

Foto von Otto FichtnerOtto Fichtner
* Bremen 29.3.1929, † Bremen 8. Juli 2013
Professor, 1956–1961 wissenschaftlicher Assistent in der SPD-Bundeszentrale, 1962–1965 Abteilungsleiter in der Bremer Behörde für Wohlfahrt und Jugend, seit 1965 Beigeordneter für Soziales und Jugend der Stadt Bochum, 1969–1976 als Ministerialdirektor Leiter der Abteilung Jugend und Sozialwesen im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, anschließend Beigeordneter für Soziales, Jugend und Gesundheit der Stadt Duisburg. 1965–1995 Mitglied im DV-Hauptausschuss, 1966–1994 im DV-Vorstand, 1976–1978 stellvertretender Vorsitzender, 1978–1989 Vorsitzender des DV, seit 1993 DV-Ehrenmitglied. 1989–1991 Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO), 1990/91 kommissarischer Abteilungsleiter im Brandenburgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, 1991–1993 Präsident des Brandenburgischen Landesamtes für Soziales und Versorgung in Cottbus.


Foto von Käthe PetersenKäthe Petersen
* Elmshorn 13.5.1903, † Hamburg 10.1.1981
1930 Dr. jur., anschließend in einer Anwaltskanzlei tätig, seit 1932 kontinuierlicher Aufstieg in der Hamburger Sozialbehörde, dort von 1956–1966 Leitende Regierungsdirektorin und Leiterin des Landesfürsorgeamtes. Mitglied von NS-Frauenschaft, Nationalsozialistischer Volkswohlfahrt, Nationalsozialistischem Rechtswahrerbund und NSDAP, erhebliche Verstrickung in die verbrecherische Fürsorgepolitik. 1957–1981 Mitglied des DV-Hauptausschusses, 1959–1981 Mitglied des Vorstandes, 1965–1970 stellvertretende Vorsitzende, 1970–1978 Vorsitzende des DV.

Foto von Walter SchellhornWalter Schellhorn
* Stuttgart 15.6.1927 † 3.10.2019
1945–1948 in einem französischen Lager interniert, anschließend Besuch der höheren Verwaltungsschule in Stuttgart, 1953–1963 Referent für Sozialrecht beim Landkreistag Baden-Württemberg. Seit 1961 DV-Hauptausschussmitglied, 1963–1968 stellvertretender Geschäftsführer, 1969–1989 Geschäftsführer des DV, 1969–1989 geschäftsführendes DV-Vorstandsmitglied, 1973–1989 Direktor, anschließend DV-Ehrenmitglied, rund 25 Jahre maßgeblich auf nahezu allen Fachgebieten der sozialen Arbeit und als Organisator im DV aktiv, ausgewiesener Sozialhilferechtsexperte und Verfasser eines renommierten BSHG-Kommentars.

Akademie und "Hans­-Muthesius­-Haus"


Nachfolger von Hans Muthesius als Vereinsvorsitzender wurde 1964 der Mannheimer Oberbürgermeister Hans Reschke. Da er sein Amt im DV nur nebenamtlich wahrnahm, wuchs der Einfluss von Hans Achinger und Käthe Petersen, die seit 1965 als stellvertretende Vorsitzende fungierte. Im Mittelpunkt standen Bestrebungen, die soziale Berufsausbildung institutionell beim DV zu verankern. Die Notwendigkeit dazu ergab sich aus dem Bundessozialhilfe- und dem Jugendwohlfahrtsgesetz, deren praktische Umsetzung eine Erhöhung der Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte voraussetzte. Schon unter Muthesius war ein Fortbildungswerk eingerichtet und die Forderung erhoben worden: "Wir brauchen eine Akademie!" Aber erst am 7. März 1966 wurde die „Akademie für Jugendarbeit und Sozialarbeit“ ins Leben gerufen, wenig später ergänzt um ein weiteres Ausbildungswerk. Unter dem Vorsitz von Reschke wurde auch mit dem Bau des 13-stöckigen "Hans-Muthesius-Hauses" begonnen, das 1973 alle Einrichtungen des stark angewachsenen Vereins unter einem Dach vereinte. Als Spiritus Rector des neuen Gebäudes zeichnete Walter Schellhorn verantwortlich, seit 1963 stellvertretender und seit 1968 erster Geschäftsführer des Vereins.

Foto von der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins Am Stockborn 1-3 in Frankfurt/Main
Sitz des DV 1973–2004 Am Stockborn 1–3 in Frankfurt/Main (bis 1990 "Hans-Muthesius-Haus")












Fortentwicklung des Sozialhilferechts


Als erste Frau trat 1970 die langjährige Leiterin des Hamburger Landessozialamtes, Regierungsdirektorin a.D. Dr. Käthe Petersen, das Amt der Vereinsvorsitzenden an. Unter ihrer Leitung erreichte der DV seinen institutionellen Zenit und die Zahl der Fachausschüsse stieg kurzzeitig auf ein Dutzend an. Während der 1960er- und 1970er-Jahre beteiligte sich der DV vornehmlich an der Fortentwicklung des Sozialhilferechts. Neben Petersen zeigte sich v.a. der Gutachtenreferent und stellvertretende Geschäftsführer Dr. Dieter Giese besonders aktiv. Drei Novellen des BSHG, durch die 1965, 1969 und 1974 der Leistungskatalog erheblich erweitert und armenpolizeiliche Relikte gestrichen wurden, begleitete der DV kritisch. Darüber hinaus schaltete man sich in die Diskussionen um die Schaffung des Sozialgesetzbuchs – Allgemeiner Teil – ein.

Kontinuität in den 1980er­Jahren


Seit Oktober 1978 lenkte mit Otto Fichtner erstmals ein Sozialdemokrat die Geschicke des DV. Angesichts der Diskussionen um einen Umbau des Sozialstaats kann es durchaus als Erfolg angesehen werden, dass der DV in den 1980er-Jahren seinen Stellenwert bewahren konnte. Das Finanzvolumen konnte sogar erhöht und die Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter/innen bei rund 100 gehalten werden. 1981 ging allerdings der Einfluss des DV auf die Bestimmung der Sozialhilfeleistungen weitgehend verloren, da der Auftrag zur Regelsatzermittlung an die Länder zurückgegeben wurde, so dass nach langen Querelen schrittweise das so genannte "Statistik-Modell" zur Ermittlung des Existenzminimums eingeführt wurde.

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