Dokumentation "COVID 19 – ANY LESSONS LEARNED?!" – Teilhabe und Selbstbestimmung von alten, pflegebedürftigen Menschen und Menschen mit Behinderungen sichern, 22. Juni 2021

Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Deutscher Verein, BMFSFJ, BMAS und BMG wurden die Lernerfahrungen für sozialpolitisches Handeln diskutiert, die aus der Covid 19-Pandemie und den zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen gezogen werden können.
Die Veranstaltungsreihe konzentrierte sich auf Handlungs- und Gestaltungsperspektiven. In einem ressortübergreifenden Ansatz wurden bisher isoliert angegangene Themen unter dem Dach des Deutschen Vereins reflektiert und unterschiedliche Perspektiven diskutiert.
Ausgehend von über einem Jahr Pandemie-Erfahrung wurde der Blick nach vorne gerichtet: Welche Maßnahmen haben sich bewährt, welche sind gescheitert und bedürfen einer Anpassung? Welche Maßnahmen können Wegweiser für die weitere Entwicklung in der Sozialen Arbeit und Sozialpolitik sein? Welche Auswirkungen der pandemiebedingten Maßnahmen sind sichtbar geworden? Welche nachsorgenden Maßnahmen sind nötig?
Neben den Überlegungen wie die sozialen Infrastrukturen für die ältere Bevölkerung, in der Pflege sowie für Menschen mit Behinderungen krisenfester gestaltet werden können, wurden ebenso nachsorgende Maßnahmen zur Milderung der negativen Folgen der Pandemie erörtert. Wie gelingen gute Schutz- und Öffnungskonzepte und eine Rückkehr zum Alltag, welche Optionen bietet z.B. die Digitalisierung in Bezug auf ein Mehr an geschütztem Kontakt und sozialem Leben in den Einrichtungen und besonderen Wohnformen, wie kann es gelingen, den Abbruch von tagesstrukturierenden Infrastrukturen wie Werkstätten, Tagespflege usw. zu verhindern?


ZIELE
Die Veranstaltung thematisiert:

  • Welche Lernerfahrungen können für die Gruppe alter, pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen aus der Covid 19-Pandemie und den zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen gezogen werden? Dazu wurden die Perspektiven von Bund, Ländern, Kommunen, Träger von Einrichtungen und sozialen Leistungen, Selbsthilfe, Verbände der freien Wohlfahrtspflege usw. einbezogen.
  • Welche Auswirkungen für die Betroffenen wie z.B. Einschränkung von Teilhabe und Selbstbestimmungsrechten; Kontakt- und Besuchsbeschränkungen; Wegfall von Infrastrukturen müssen künftig vermieden werden und welche Schritte sind dazu nötig?
  • Wie können erfolgreich Öffnungskonzepte und die Rückkehr zum „Alltag“ umgesetzt werden?
  • Welche Schlussfolgerungen können daraus für Änderungsbedarfe in der Alten- und Pflegepolitik und in der Politik für Menschen mit Behinderungen gezogen werden?

  • Die Teilnehmenden wirken gestaltend mit am fachpolitischen interdisziplinären Austausch über Lernerfahrungen für sozialpolitisches Handeln in Zeiten der Corona-Pandemie und über Perspektiven ihrer Weiterentwicklung.

    Programmablauf

    F 4233/21 Programmablauf gesamt [PDF, 110 KB]

    Die Veranstaltung wurde eröffnet von der Präsidentin des Deutschen Vereins, Dr. Irme Stetter-Karp, Stuttgart. Dr. Stetter-Karp betonte den ressortübergreifenden Ansatz der Veranstaltungsreihe „COVID 19 – ANY LESSONS LEARNED?!“ und dankte den drei Bundesministerien für ihre Mitwirkung in der gemeinsamen Veranstaltungsreihe.

    F 4233/21 Wie ist es uns ergangen?


    Gespräch über persönliche Erfahrungen in der Pandemie mit:

  • Baris Gösker
  • Ramona Günther
  • Anja Köhne
  • Christl Eichinger

  • Moderation: Lothar Guckeisen

    Inhalt: Anhand der Darstellung persönlicher Erfahrungen wurden im Gespräch die konkreten Auswirkungen der Pandemie aus verschiedener Perspektive beleuchtet. Herr Gösker stellte die Situation aus Sicht eines im Pflegebereich Beschäftigten dar. Als Werkstatträtin und Vorstandsmitglied der Lebenshilfe konnte Frau Günther von den Einschränkungen aus der Sicht einer Nutzerin von Leistungen der Eingliederungshilfe berichten. Frau Köhne und Frau Eichinger gingen auf die schwierige Situation pflegender Angehöriger ein und verdeutlichten die durch die Pandemie verschärfte multiple Problemlage anhand konkreter Beispiele, die von der Assistenz im Krankenhaus bis zu Fragen der finanziellen Absicherung bei Berufstätigkeit reichten.

    F 4233/21 Selbstbestimmung und Teilhabe in der Krise?! Lernerfahrungen in und aus der Pandemie



    F 4233/21 Aufgaben und Schlussfolgerungen für die Strukturen und Angebote der Altenpolitik unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys (DEAS)
    Referent: Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer (Deutsches Zentrum für Altersfragen)
    Inhalt: Der Vortrag thematisierte mit Bezug auf die Sonderauswertung des Deutschen Alterssurvey (DEAS) Schlussfolgerungen der Altenpolitik. Die wahrgenommene Bedrohung durch Corona war unter den Älteren eher gering, ebenso die Wahrnehmung von Altersdiskriminierung. Hier besteht eine Diskrepanz zum öffentlichen Diskurs über ein Mehr an Altersdiskriminierung. Personen mit Unterstützungs- und Pflegeaufgaben waren stärker betroffen in Bezug auf eine depressive Symptomatik als Personen ohne diese Aufgaben. Finanzielle Einbußen erlitten insgesamt 30 % der Personen ohne Rentenbezug und 10 % mit Rentenbezug (gfs. Wegfall von Minijobs). Der Anteil von Personen mit Internetzugang ist in allen Altersgruppen in der Pandemie gestiegen, im Alter von 76-90 Jahren liegt der Anteil weiter bei 52%, somit hat nur die Hälfte Internetzugang. In der Pandemie war das Internet „die Rettung“, was Kontakt zu Familie, Enkelkindern, Freunden usw. betraf oder für Alltagserledigungen (online-Einkauf). Der 8. Altersbericht hat die digitale Kluft, d.h. den geringen Anteil älterer Menschen mit Internetzugang als seniorenpolitisch problematisch belegt. Gestiegen ist die Prävalenz von Einsamkeit (Anstieg 1,5 fach) für alle Altersgruppen der 2. Lebenshälfte. Die Auswirkungen der Pandemie und die gegen sie gerichteten Maßnahmen lassen sich kaum trennen, Auswirkungen bestehen in allen Lebensbereichen. Bezogen auf Ängste vor Corona, Einsamkeit und wahrgenommene Altersdiskriminierung bestehen kaum Unterschiede der Altersgruppen. Besondere Belastungen und ein Mehr an depressiver Symptomatik haben durchweg pflegende Angehörige berichtet, problematisch ist die digitale Spaltung im Hinblick auf Teilhabe am öffentlichen und sozialen Leben und die Vertiefung sozialer Ungleichheit. Insgesamt ist festzustellen, dass regionale Unterschiede und Faktoren sozialer Ungleichheit i.d.R. bedeutsamer sind als das Alter. Ältere Menschen wurden im öffentlichen Diskurs meist als homogene und vulnerable Gruppe dargestellt, eine Verzerrung der heterogenen Lebenslagen im Alter. Die Leistungen Älterer auch zur Bewältigung der Pandemie wurden nicht gesehen.


    F 4233/21 Aufgaben und Schlussfolgerungen für die Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe
    Referentin: Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust (Bundesvereinigung Lebenshilfe)
    Inhalt: In ihrem mündlichen Vortrag beschrieb Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust, Bundesgeschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die Situation von Menschen mit Behinderungen (MmB) und ihrer Familien sowie der Anforderungen an Dienste und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Für die Gruppe der MmB fehlen belastbare Zahlen zu Erkrankungen oder Todesfällen, auf der Basis vereinzelter Erhebungen sind solide Aussagen nicht möglich. Vielfach wurden die spezifischen Bedarfe der MmB nicht gesehen wie der Bedarf an körpernaher Unterstützung, der das Einhalten der Hygieneregeln erschwerte. Erschwerend war weiter der Mangel an persönlicher Schutzausrüstung, an Desinfektion usw. zu Beginn der Pandemie. In Verbindung mit dem Wohnen in räumlicher Nähe kam es in der Folge zu Infektionsausbrüchen. Einige Familien entschieden, ihre Angehörigen nach Hause zu holen - häufig mit der Folge starker Belastung und Überlastung in den Familien. Ambulante Angebote der Unterstützung (Frühförderung, Schulassistenz, tagesstrukturierende A.) waren eingeschränkt oder eingestellt, einige Eltern entschieden sich gegen den Schulbesuch aus Angst vor Infektion. So kamen viele Familien in die Situation einer 24-Stunden-Betreuung an sieben Tagen und eine extreme Belastung. In vielen Werkstätten kam es zu Betretungsverboten, was die MmB in ihrer Tagesstrukturierung verunsicherte und belastete und in den Wohngruppen zu einer ständigen Präsenz aller führte. Einige Werkstätten konnten Notgruppen anbieten oder Mitarbeitende von Werkstätten unterstützten in Wohngruppen mit tagessstrukturierenden Angeboten. Gewachsen sei dadurch das wechselseitige Verständnis von Werkstatt und Wohneinrichtung. Insgesamt seien die vielen Zeichen der Solidarität eine positive Erfahrung in der Pandemie. Diese Solidarität war nötig für die hoch belasteten Einrichtungen und Familien. Herausfordernd war der Umgang mit infizierten/erkrankten Personen, hier mussten Absonderungen bzw. Quarantäneanordnungen in den Wohnbereichen umgesetzt werden. Einige größere Einrichtungen richteten spezielle Abteilungen bzw. Gruppen zur Isolation und Quarantäne ein. Zum Teil erfolgte die Versorgung infizierter oder erkrankter Menschen durch selbst infiziertes Personal (ohne starke Symptomatik und in Absprache mit den Gesundheitsämtern) – eine problematische Notlösung, aber nur so konnte überhaupt eine Versorgung erfolgen. Insbesondere in der 2./3. Welle mit hohen Inzidenzen kam es regional zu vielen Todesfällen und dramatischen Situationen in Einrichtungen und betreuenden Familien. Ein schwieriges Thema war die Sorge vor unzureichender medizinischer Versorgung oder Notfallhilfe der Menschen mit Behinderung bei begrenzten/endlichen Ressourcen des Gesundheitssystems (bekomme ich eine Beatmung usw.). MmB und ihre Familien fühlten sich hier z. B. von Äußerungen der Dt. Gesellschaft für Intensivmedizin nicht ausreichend in ihren Bedarfen gesehen.
    Was haben die Dienste und Einrichtungen gemacht? Sie haben neue Lösungen gesucht, z.B. durch das Hereinholen von Heimarbeit in die Wohngruppen, durch einen Ausbau von Digitalisierung zum Erhalt von Kontakt zu Familien, Freunden usw. Es gab einen deutlichen Aufwuchs an digitaler Ausstattung als auch ein Zuwachs von digitalen Kompetenzen der Menschen mit Behinderung. Wünschenswert wären einfache Bewilligungsmodi, um Anschaffungen schnell tätigen zu können. Ambulante Dienste und Hilfen wurden virtuell angeboten und später mit Schutzmaßnahmen auch wieder in Präsenz. Schwierig war die Uneinheitlichkeit von Regeln und Verordnungen. Ärgerlich war, dass es anders als in der Pflege keine Corona-Prämie gab für die Mitarbeitenden in Einrichtungen der Behindertenhilfe, auch nicht für die über lange Zeit hoch geforderten Familien. So war der Eindruck, dass Menschen mit Behinderungen nicht gesehen werden. Eine Lernerfahrung sei, dass Infektionsschutz und das Recht auf Teilhabe, auf Kontakt und soziale Begegnung abzuwägen sind. In diese Abwägung sind die Bedarfe von Menschen mit Behinderungen einzubeziehen und Lösungen zu finden. Die Beteiligung von Werkstatträten, von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien, von Interessenvertretungen und Selbsthilfe in die Entscheidungsprozesse ist nötig, um gute Entscheidungen zu erreichen. Die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen, ihren Selbstvertretungen und Organisationen sollte auch stärker Eingang finden in die Empfehlungen von Fachgesellschaften zum Umgang des medizinischen Versorgungssystems bei knappen Ressourcen.

    F 4233/21 Pflegebedürftige Menschen und Pflege in der Pandemie – Aufgaben und Schlussfolgerungen [PDF, 720 KB]
    Referent: Rudolf Herweck (BAGSO)
    Inhalt: Der Vortrag stellte Selbstbestimmung und Teilhabe von Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt. Die seit März 2020 bestehenden Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Isolationsmaßnahmen führten zum Rückgang kognitiver Fähigkeiten und einer Verschlechterung des Allgemeinzustands. Betont wurde die Rechtsposition älterer Menschen als Grundrechtsträger auch in stationären Pflegeinrichtungen. Die erfolgten Eingriffe in die Grundrechte hätten vielfach gegen das Gebot der Menschenwürde verstoßen (einsames Sterben, Leiden von Demenzerkrankten unter für sie nicht begreifbarer Isolation). Notwendig sei eine Abwägung von Grundrechten und Grundrechtseingriffen, wobei die Folgen von Kontaktbeschränkungen usw. stärker zu berücksichtigen seien und der Infektionsschutz nicht absolut gesetzt werden dürfe. Nötig seien heimbezogene Pandemiekonzepte, mehr Zusammenarbeit von ÖGD, Heimaufsicht und Einrichtungen sowie feste Ansprechpartner in den Behörden, die Einrichtung von Ombudsstellen sowie Pandemie-, bzw. Krisenstäbe (Land und Kommunen) unter Beteiligung der Bewohnervertretungen. Auch in der ambulanten Pflege gab es massive Einschränkungen durch Mangel an persönlicher Schutzausrüstung/Hygienekonzepten, dem Rückzug von Hilfen (24-h-Pflege, Ehrenamt), Schließung von Tagespflege, Wegfall und Einschränkungen therapeutischer und medizinischer Versorgung. Auch die zum Teil widersprüchliche, uneinheitliche Durchsetzung von Öffnungen und Rücknahme der Kontaktbeschränkungen usw. war problematisch. Nötig sind klare, verbindliche Regelungen der zuständigen Behörden für die Einrichtungen sowie die Zusammenarbeit von Einrichtungen, ÖGD, Heimaufsicht. Insgesamt habe die Pandemie gezeigt, dass es einer umfassenden Pflegereform bedarf und mehr Unterstützung von pflegenden Angehörigen und Pflege zuhause (Nothilfe-Teams). Kommunen seien als Koordinationsinstanz für das ehrenamtliche Engagement gefordert. Selbstbestimmung im Alter heiße auch Leben mit einem Restrisiko und die persönliche Risikoabwägung. Dies könne auch alten Menschen nicht per Verordnung abgesprochen werden.


    F 4233/21 Parallele Foren


    Forum a) Wie kann Gesundheitsschutz mit Selbstbestimmung und sozialem Leben in besonderen Wohnformen und Einrichtungen der stationären Pflege verbunden werden?
    Präsentation Vogt-Jansen [PDF, 1,1 MB]
    Referentin: Dagmar Vogt-Janssen (Landeshauptstadt Hannover)
    Inhalt: Im dem Vortrag mit Präsentation wurden die veränderten Aufgaben und Formen der Zusammenarbeit zwischen kommunaler Verwaltung, Heimaufsicht, Gesundheitsamt, Pflegeeinrichtungen und weiteren Akteuren in den verschiedenen Phasen des Pandemiegeschehens dargestellt und Vorschläge für eine verbesserte Zusammenarbeit und tragfähige Kommunikationsstrukturen in der Zukunft gemacht.

    Präsentation Bernshausen [PDF, 2,2 MB]
    Referentin: Gitta Bernshausen (Sozialwerk St. Georg)
    Inhalt: Der Vortrag mit Präsentation thematisierte die Situation von Menschen mit Behinderung in der Pandemie. Hier waren die Herausforderungen ebenso wie die geäußerten Wünsche und Bedürfnisse vielfältig und heterogen. Als Impulse für Veränderungen wurden genannt: Gemeinwohlorientierung und Vernetzung; der Fokus auf Fachkräfte um für künftige Krisen gewappnet zu sein; der Schutz der Selbstbestimmung von Klient/innen auch in der Krise; die Identifikation von Dunkelfeldern und der Aspekt der Suizidprävention sowie das Einüben von Kollaboration und Einbezug von Betroffenen über Beiratsstruktur oder regelmäßige Konferenzen auch außerhalb von Krisenzeiten, um diese Strukturen in der Krise nutzen zu können.

    Präsentation Richard [PDF, 700 KB]
    Referent: Robert Richard (Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt)
    Inhalt: Der Vortrag mit Präsentation thematisierte die Erfahrungen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in der Pandemie und forderte als Konsequenz für die Zukunft, dass mit jedem Hygienekonzept auch ein Teilhabekonzept erarbeitet werden muss. Dafür sollte auf allen politischen Ebenen in interdisziplinären Teams oder Gremien gearbeitet werden.

    Moderation: Dr. Elisabeth Fix (Caritas Bundesverband)

    Forum b) Tagesstrukturierende Angebote auch in Krisenzeiten ermöglichen - Wie kann das gelingen?
    Referent: Konstantin Fischer (BAG WfbM)
    Inhalt: Der mündliche Vortrag fokussierte auf die Situation von Menschen mit Behinderungen und die Schwierigkeiten, die mit flächendeckenden Betretungsverboten von Werkstätten verbunden waren. Neben dem Abgeschnitten-Sein von tagestrukturierenden Angeboten wurde auch das Problem der Entgeltkürzungen thematisiert. Ein Wechsel in die Heimarbeit war nicht möglich und es bestand kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Menschen, die Werkstätten beschäftigt sind, wurden von Kommunikationssträngen abgetrennt und gleichzeitig fehlte es an entsprechender Ausstattung, um einen digitalen Austausch zu etablieren. Als Chance zur Verbesserung wurde das Betriebsrätemodernisierungsgesetz genannt, da dieses auch Verbesserung für Werkstatträte vorsieht.

    Präsentation Sauder [PDF, 270 KB]
    Referent: Andreas Sauder (Landesfachstelle Demenz, Saarland)
    Inhalt: Der Vortrag mit Präsentation fokussierte auf die Situation von Menschen mit Demenz. Dabei wurde thematisiert, dass die Hygienevorgaben zu einer praktischen Teilschließung der tagesstrukturierenden Angebote für diese vulnerable Gruppe führten. Ohne diese Angebote wuchs die Gefahr der Unterversorgung in der eigenen Häuslichkeit. Durch die Pandemie wurde die Situation der ohnehin zu gering zur Verfügung stehenden Tagesplätze noch angespannter. Zur Stärkung dieser Angebote bedarf es einer konzertierten Aktion zur Schaffung weiterer Angebote. Angebote der mobilen Tagespflege müssen entsprechend finanziert werden. Es wurde deutlich, dass ein bedarfsadäquater Personalschlüssel gerade auch für die Betreuung von Menschen mit Demenz notwendig ist. Gleichzeitig sollten Maßnahmen zur Entlastung der pflegenden Angehörigen und zur Gewährleistung von Vereinbarkeit und Pflege und Beruf ergriffen werden. Zwingend erforderlich ist, dass jeder Anspruchsberechtigte auch tatsächlich Zugang zu den Leistungen erhält. Insbesondere muss dafür der Transport von Menschen zu den Angeboten als Mehraufwendung anerkannt werden.

    Handout Hinz [PDF, 580 KB]
    Referent: Dr. Thorsten Hinz (Stiftung St. Franziskus)
    Inhalt: Der mündliche Vortrag warf einen differenzierten Blick auf die Zielgruppen der Werkstätten für behinderte Menschen und der Tagesangebote. Dabei wurde thematisiert, dass massive Eingriffe zum Schutz erforderlich waren und dies eine erhöhte Kommunikation erforderlich machte. Große Belastungen waren bei den Betroffenen durch Isolationen in Einrichtungen aber ebenso bei den Mitarbeitenden spürbar. Weiterhin ist zum Teil die Refinanzierung der coronabedingten Mehrkosten (Schutzausrüstung) ungeklärt. Deutlich wurde aber auch, dass die Veränderung des Alltags auch positive Auswirkungen hatte, da Arbeitsabläufe reflektiert werden konnten. Der Ausbau der digitalen Strukturen ersetzt zwar nicht den direkten menschlichen Kontakt, erwies sich aber als hilfreich. Eine besondere Herausforderung stellt das Impfen dar. Bei Menschen mit Behinderungen dauerte es lange, bis diese zu ihrem Angebot kamen.

    Präsentation Rieß [PDF, 60 KB]
    Referent: Andreas Rieß (Josefs-Gesellschaft gGmbH)
    Inhalt: In dem Vortrag mit Präsentation wurde die sozialunternehmerische Perspektive der Pandemie in den Mittelpunkt gestellt und die Schwierigkeiten benannt, die für tagesstrukturierende Angebote erwachsener Menschen mit Behinderungen sowie für Seniorinnen und Senioren bestanden. Um die tagesstrukturierenden Angebote soweit wie möglich aufrecht zu erhalten, wurden verschiedene Maßnahmen (z. B. gegenseitige Unterstützung der Mitarbeitenden in den verschiedenen Angeboten, Nutzung digitaler Kommunikationswege) ergriffen und konkrete Beispiele benannt. Die Reduktion von Teilhabe, der vermehrte Bedarf an Bedarfsmedikation und der Verlust von bereits Erlerntem ebenso wie die hohen Belastungen der Mitarbeitenden wurden thematisiert. Gleichzeitig erwachsen aus der Pandemie auch Chancen, die es zu nutzen gilt. So sollten hybride Leistungsangebote und Möglichkeiten des mobilen Arbeitens auch für Menschen mit Behinderungen, dort wo gewünscht und möglich, genutzt und angeboten werden. Positive Effekte hatte die Pandemie auf das Teambuilding vor Ort.

    Moderation: Brigitte Döcker (AWO Bundesverband)


    Forum c) Angebote und Strukturen der Gesundheitsförderung und Prävention: Wie können sie gestärkt werden?
    Präsentation Heuerding [PDF, 200 KB]
    Referentin: Barbara Heuerding (BeB)
    Inhalt: Der Vortrag mit Präsentation fokussierte auf die Situation von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Die auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderung zugeschnittenen Angebote (z.B. Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) wurden in der Pandemie empfindlich getroffen. Es zeigte sich, dass diese vulnerable Gruppe und ihre spezifischen Bedarfe nur wenig präsent waren (u.a. Priorisierung von Impfungen, mangelnde Schutzausrüstung). So kam es zu Einschränkungen der Versorgung mit der Gefahr der Verschlechterung bestehender Erkrankungen und Einschränkungen der Teilhabe. Eine Lernerfahrung ist ein geschärftes Bewusstsein für die Bedeutung der dauerhaften Stärkung/Ausbaus der Versorgungsstrukturen wie Präventionsangebote, mobile Reha, Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) und Sozialpädiatrische Zentren (SPZ), gemeindenahe Psychiatrie, Begleitung im Krankenhaus. Geboten ist weiter der Ausbau und die Sicherstellung von Barrierefreiheit der Arztpraxen und im Gesundheitssystem insgesamt. Zur Sicherung von Partizipation und Teilhabe ist der Ausbau der digitalen Ausstattung ebenso nötig wie die Ermöglichung digitaler Teilhabe der Menschen mit Behinderung durch Kompetenzerwerb, d.h. Anleitung und Assistenz sind zu sichern (DigitalPakt Partizipation).

    Referentin: Karolina Molter (Deutsches Rotes Kreuz)
    Inhalt: In ihrem mündlichen Vortrag ging Karolina Molter, Teamleiterin Hauptaufgabenfelder beim Deutschen Roten Kreuz, auf die Einschränkungen ein, mit denen sowohl aufsuchende Hilfen als auch Tageseinrichtungen infolge der Pandemie konfrontiert waren. Im Zentrum des Berichts standen neben einer Schilderung der damit einhergehenden Problemstellungen die gesammelten Erfahrungen bei der Einbindung von Ressourcen im Sozialraum, der Vernetzung von Akteuren sowie der Etablierung innovativer digitaler Lösungen. Für eine gelingende Prävention und Gesundheitsförderung auch unter Bedingungen der Pandemie brauche es niedrigschwellige und lebensweltnahe Angebote und eine kommunal verankerte Altenhilfe unter Einbeziehung von Angehörigen und Nachbarschaften. Eine höhere Aufmerksamkeit sollte dabei der großen Gruppe älterer Menschen ohne Pflegegrad gewidmet werden, welche eine Hauptadressatin der Prävention sei, und ebenso der Gruppe pflegender Angehöriger, welche durch erhöhte Belastung zunehmend selbst gesundheitlich gefährdet seien.

    Präsentation Hüppe [PDF, 430 KB]
    Referentin: Dr. med. Katharina Hüppe (Gesundheitsamt Landkreis Hildesheim)
    Inhalt: Der Vortrag griff folgende Themen auf: die Bedeutung der nachhaltigen Integration von gesundheitsförderlichen Ansätzen in Alten- und Pflegeeinrichtungen, die konkurrierenden Ziele während der Pandemie (Infektionsschutz versus Teilhabe und sozialer Kontakt) und die unterschiedliche Handhabung je nach Einrichtung, die unzureichende Vorbereitung auf ein pandemisches Geschehen mit Auswirkungen auf die Versorgung pflegebedürftiger Menschen. An notwendigen Verbesserungen wurden genannt: ausreichendes und qualifiziertes (auch im Hinblick auf pandemisches Geschehen) Personal in den Einrichtungen, im Gesundheitsamt und in der Heimaufsicht, ausreichende persönliche Schutzausrüstung, Kenntnis und Umsetzung von Pandemieplänen und ein Management von Hygiene- und Infektionskontrollmaßnahmen, gute Kommunikation zwischen Alten- und Pflegeeinrichtungen, Gesundheitsamt und Heimaufsicht sowie die Präsenz des Gesundheitsamtes vor Ort. Notwendig und hilfreich für die Bewältigung von Krisen sei auch die im „Normalfall“ geübte kontinuierliche Kooperation von Einrichtungen und Gesundheitsamt in Netzwerken.

    Moderation: Rudolf Herweck (BAGSO)

    F 4233/21 Podiumsdiskussion „Was ist nun zu tun – was haben wir gelernt?“


    Einstieg: Forderungen an die Politik

  • Jeanne Nicklas-Faust, Bundesvereinigung Lebenshilfe
    Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust forderte bei allen Maßnahmen - seien sie seuchenhygienischer Art oder andere gesetzliche Maßnahmen -, die Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe einzubeziehen. Dies erfordere die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen und ihrer Vertretungen an Beratungen der entsprechenden Gremien wie Krisenstäbe, Parlamentarische Runden usw. In der aktuellen Pandemie seien in vielen Krisenstäben z.B. die Beauftragten für Menschen mit Behinderungen nicht einbezogen worden.
  • Franz Müntefering, Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V.
    Franz Müntefering forderte, dass Deutschland sich auf nationaler und internationaler Ebene besser vorbereiten müsse auf Katastrophenfälle und Krisen. Auf der Ebene der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien Konzepte zur Verhinderung von Pandemien zu erarbeiten. Es dürfe kein Einrichten im Krisenmodus geben! Auf nationaler Ebene seien die Strukturen von Feuerwehr, Rettungsdiensten usw. zu stärken, daneben sei die Information der und die Kommunikation mit der Bevölkerung zu verbessern.
  • Brigitte Döcker, AWO Bundesverband
    Brigitte Döcker forderte gesetzliche Grundlagen für die Weiterexistenz sozialer Infrastrukturen. Die aktuellen Regelungen, die in der Pandemie für den Bestand der sozialen Dienste usw. geschaffen wurden (SodEG), brauchen eine gesetzliche Basis. Ad Hoc Regelungen in der Krise verbrauchen Zeit und Ressourcen. Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) müsse gestärkt werden für alle Bereiche. Darüber hinaus habe die Pandemie gezeigt, dass die grundlegenden Werte und Rechte auf Teilhabe und Partizipation auch in einer Krise gelten.
  • Uwe Lübking, Deutscher Städte- und Gemeindebund
    Uwe Lübking forderte ebenfalls eine bessere Vorbereitung aller Strukturen auf Katastrophen- und Krisenfälle. Das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz solle weiterentwickelt werden für nationale Krisen unterhalb des Verteidigungsfalls. Dieser Weg werde nun beschritten. Notwendig sei auch die Stärkung des ÖGD sowie eine stärkere Achtsamkeit für besondere Bedarfsgruppen wie Menschen mit Behinderungen, pflegebedürftige und alte Menschen. Doch auch Kinder und Jugendliche seien zu wenig und zu spät in die Betrachtung einbezogen worden. Auf nationaler Ebene sei eine ausreichende Bevorratung von persönlicher Schutzausrüstung zu fordern, sowie eine Verbesserung des Zusammenspiels der Strukturen. Zu häufig sei vor Ort nebeneinander her gearbeitet worden. Die Kommunen sind gefordert, sich vorzubereiten auf die Sicherung der Nahversorgung in ländlichen wie städtischen Räumen sowie auf die Sicherung der Teilhabe auch in Krisenzeiten.

    Anschließend Podiumsdiskussion mit:
  • Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel (BMFSFJ)
  • Dr. Annette Tabbara (BMAS)
  • Birgit Naase (BMG)

  • Moderation: Lothar Guckeisen

    Inhalt: Die Diskussion mit den Vertreter/innen der Bundesministerien griff folgende Themen auf:
  • Vorbereitung: Das BMG verweist auf den Aufbau einer nationalen Reserve Gesundheitsschutz zur besseren Vorbereitung für Pandemien/Epidemien als Folge der Pandemieerfahrungen. Das Zusammenspiel staatlicher Ebenen (Bund, Ländern, Kommunen) und die Teilung von Verantwortung sei in allen Aspekten relevant.
  • Internationale/europäische Ebene: Das BMG verweist auf die Beschaffung von Impfstoff über die EU, ebenso auf die Vereinbarungen mit der WHO zur globalen Bereitstellung von Impfstoff.
  • Informationspolitik und Kommunikation: für alle Ressorts war es eine Lernerfahrung, unterschiedliche Adressatengruppen auch unterschiedlich anzusprechen. BMG: eine verständliche medizinisch-epidemiologische Aufklärung über komplexe Inhalte ist nicht einfach umzusetzen. Für den Bereich der Altenpflege habe sich das ‚Pflegenetzwerk‘ des BMG (im Kontext neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff etabliert) zum Austausch sowie zur Vermittlung von Infos und zur Vernetzung der Einrichtungen und Dienste untereinander bewährt.
    Barrierefreiheit: die Umsetzung barrierefreier Kommunikation im Kontext der Pandemie war eine Lernerfahrung. So fehlte bei der ersten Ansprache der Bundeskanzlerin zur epidemischen Lage eine Gebärdendolmetschung in Echtzeit. Hier wurde nachgebessert, auch für die Corona-App wurde Barrierefreiheit umgesetzt (2-Sinne-Prinzip, Schriftbild, einfache Sprache).
    Kommunikation: Das Hin und Her der Ministerpräsidentenrunden mit der Kanzlerin war so Franz Müntefering perfekte Verwirrung: Fakten müssten klar vermittelt werden, um verstanden zu werden. Insgesamt hätten die Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk konstruktiv gearbeitet, gerade der ÖRR sei in der Verantwortung für die Vermittlung seriöser Informationen.
  • Betroffene zu Beteiligten machen
    BMFSFJ: in der Krise wurden ältere Menschen von Subjekten zu Objekten des Gesundheits- und Infektionsschutzes. Auf europäischer und internationaler Ebene habe die Diskussion um die Rechte älterer Menschen auch aufgrund dieser Erfahrungen in den Mitgliedsstaaten an Fahrt aufgenommen. Die Erfahrungen von z.T. totalen Kontaktbeschränkungen über Monate hätten in Europa das Bewusstsein geschärft, dass ältere Menschen Grundrechtsträger sind. Diese Entwicklung zeige sich in den Themen/Schlussfolgerungen der deutschen EU Ratspräsidentschaft 2020.
    Menschen mit Behinderungen, ihre Interessenvertretungen und Organisationen einbeziehen in die Gremien und Entscheidungsprozesse.
    Müntefering: engagieren Sie sich in den Verbänden, Vereinen, Initiativen vor Ort, gestalten Sie ihr Lebensumfeld mit!
  • Sicherung der sozialen und pflegerischen Infrastruktur: BMAS/BMG: mit den Maßnahmen des SodEG wurde erstmals die Systemrelevanz der sozialen Infrastrukturen anerkannt und Maßnahmen ergriffen zur Sicherung der Vielfalt sozialer Anbieter, Dienste und Einrichtungen. Positiv ist festzuhalten, dass kein Missbrauch erfolgte und die Existenzsicherung weitgehend gelungen ist. Eine Evaluation des SodEG soll erfolgen, um Schlussfolgerungen über die Krise hinaus zu ziehen. Im Bereich SGB V / XI wurden Maßnahmen ergriffen zur Sicherung der gesundheitlichen/pflegerischen Infrastruktur. Einrichtungen der Altenpflege wurden gesichert im Hinblick auf Mehrausgaben und Mindereinnahmen aufgrund der Pandemie, die Finanzierung von Testungen usw. Ziel war der Erhalt der pflegerischen Versorgung – auch nach der Krise. Prof. Nicklas-Faust verweist auf Angebote der Frühförderung, die es durch Sektorengrenzen schwer hatten unter die Rettungsschirme zu kommen. Bitter sei, dass viele offene, ambulante Angebote (Freizeit, Begegnung) es nicht geschafft haben.
  • Behinderung und Pflege: Prof. Nicklas-Faust: Menschen mit Behinderungen sind bei den Maßnahmen für Pflegebedürftige stärker in den Blick zu nehmen. Hier brauche es mehr an Inklusion. Der Fokus lag in der Krise auf der Altenpflege sowohl bei der Wertschätzung für das Personal (keine Coronaprämie in der EGH) als auch bei der Priorisierung der Impfstrategie. Der späte Beginn in Einrichtungen der Behindertenhilfe habe zu Todesfällen geführt.
  • Pflegende Familien/Angehörige und häusliche Pflege: die Krise habe die hohe Bedeutung der familiären Pflege für die Versorgung noch einmal unterstrichen. Familien, An- und Zugehörige waren für die Versorgung von pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung die Ausfallbürgen. Eine Lernerfahrung sei daher, häusliche Pflege mehr als geschehen bei allen Maßnahmen (Schutzausrüstung, Information, Impfungen) mitzudenken. Nötig seien konkrete Nothilfen zur Entlastung usw. Die in der Pandemie erfolgten Anpassungen (mehr Tage Pflegeunterstützungsgeld, Familienpflegezeit, Flexibilisierung Entlastungsbetrag usw.) waren nicht für alle Betroffenen wirksam. Prof. Nicklas-Faust: die Eltern von Kindern mit Behinderung oder alte pflegende Angehörige profitieren nicht von Hilfen, die als Lohnersatzleistungen konstruiert sind. Reduzierte Erwerbstätigkeit aufgrund von Betreuungsaufgaben erfolgte ohne finanziellen Ausgleich. Ausgesetzte/eingeschränkte ambulante Hilfen wurden durch die Familien aufgefangen. Dabei waren die unterschiedlichen Länderregelungen oder Auslegungen von Kassen (z.B. zur Flexibilisierung Entlastungsbetrag; statt Sachleistung eine Kostenerstattung für selbst besorgte Hilfen) Barrieren. BMAS: die Situation von pflegenden/sorgenden Angehörigen erfordere in solchen Krisen eine flexible Handhabung. Gesetze können ausgelegt werden! Und diese Auslegung kann in einer Krise anders ausfallen als im Normalfall. In den Runden mit den Ländern habe das BMAS großzügige Auslegungen angeregt. So sei z.B. die Leistung Schulassistenz auch als Unterstützung des Homeschooling möglich.
  • Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Die Krisenbewältigung erfolge vor Ort, allerdings seien die regionalen Gegebenheiten und Ressourcen heterogen, das Stadt-Land-Gefälle nur ein Aspekt. Müntefering: wir brauchen eine Ausbalancierung. Die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Information, Hilfen usw. darf nicht in diesem Maß wie aktuell vom Wohnort abhängen. Die Empfehlungen des Siebten Altenberichts blieben folgenlos, die AG 6 der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse habe ebenfalls konkrete Empfehlungen vorgelegt. Bund, Länder und Kommunen müssen umsetzen. Herr Lübking erinnert die Länder an die Verpflichtung, Kommunen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend auszustatten. Für nachhaltig finanzierte Strukturen vor Ort seien z.B. Regionalbudgets ein Ansatz. Eine Projekt- oder Programmförderung schaffe temporäre Möglichkeiten, vieles ende nach Ablauf der Förderzeiträume, häufig passten die Gegebenheiten vor Ort auch nicht zu den Förderkulissen. BMFSF: der Förderung des Bundes sind Grenzen gesetzt. Es braucht eine politische Diskussion wie Bund, Länder, Kommunen mit den Themen Stärkung der Kommunen, gleichwertige LV, verbindliche Strukturen der Altenhilfe usw. in Zukunft umgehen.
    Sozialraum und Quartiere / Altenhilfestrukturen stärken: BMFSFJ: die Stärkung von kommunalen Altenhilfestrukturen sei eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode. Ob dies mit dem § 71 SGB XII geschehe oder nicht doch darüber hinaus andere Lösungen (AltenhilfestrukturG), müsse diskutiert werden. Starke Sozialräume könnten nicht in Krisen aufgebaut werden, würden aber gerade in diesen Krisen gebraucht - solidarische Hilfe und Krisenbewältigung passiere vor Ort. Auch der Gedanke der Inklusion müsse wieder stärker in den Blick genommen werden. Prof. Nicklas-Faust: in der Pandemie waren Menschen mit Behinderungen im Sozialraum nicht präsent (durften Wohnformen nicht verlassen). Die Inklusion habe Rückschläge erlitten. Lübking: lebensfähige und vitale Sozialräume brauchen Kümmerer und ein gutes Quartiersmanagement. Auch hierfür braucht es Mittel, auch hierzu liegen Empfehlungen der AG 6 der Kommission gleichwertige LV vor. Die Länder sind in der Pflicht, Kommunen so auszustatten, dass diese Aufgaben wahrgenommen werden können.
    Gesundheitsförderung und Prävention in den Kommunen. Diesen Bereich zu stärken sei eine Lernerfahrung. Uwe Lübking: wir brauchen einen starken ÖGD, aber darüber hinaus sind Wohnen, Teilhabe und Netzwerke vor Ort relevante Themen. Kommunen mit funktionierenden Netzwerken hatten leichteren Zugang zu Menschen mit besonderen Bedarfen an Hilfe und Unterstützung, waren besser aufgestellt. Notwendig seien kleinräumige, zugehende Strukturen (z.B. Gemeindeschwester) in den Quartieren. Wirkungsvolle Präventionsarbeit müsse Themen zusammenführen – dafür brauche es Strukturen auf kommunaler Ebene. Kommunen sollten ihren Präventionsauftrag identifizieren, Aufgaben formulieren, Konzepte erarbeiten – die Kassen müssen Präventionsmittel bereitstellen, die Länder die Kommunen finanziell in die Lage versetzen diesen Aufgaben nachzukommen. Aber Prävention sei mehr als SGB V und die Herausforderungen werden zunehmen (Klimakrise, mehr vulnerable Gruppen).

    Gemeinsames Fazit:

    • Krisenfeste Unterstützung pflegender Familien/Angehörigen ist pflegepolitisch geboten
    • Einbindung der Betroffenen in die Beratungs- und Entscheidungsprozesse
    • Evaluieren und prüfen, was von den ergriffenen Maßnahmen verstetigt werden soll

  • Ergänzende Materialien

    1. In drei Worten: Was nehmen Sie aus dieser Veranstaltung mit? [PDF, 130 KB]
    2. Wir haben vier Forderungen an die Politik gehört. Welche Forderungen haben Sie? [PDF, 140 KB]

    Aufzeichnungen der Veranstaltung:

    Teil 1
    Teil 2 (Foren):
    Forum a)
    Forum b)
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    Teil 3

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