Drei Fragen an Vorstand Michael Löher

Foto von Michael Löher, HoffotografenSeit 1880 ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. das Forum für die öffentlichen und privaten Träger der Wohlfahrtspflege, für Akteure aus Wissenschaft und Politik. Seine wechselvolle Geschichte ist eng verbunden mit Entstehung, Ausbau und Umbau des deutschen Wohlfahrtsstaates und veranschaulicht die unterschiedlichen historischen Lösungen für soziale Probleme – von der Armenpflege im Kaiserreich über das Weimarer Fürsorgewesen bis hin zum Sozialhilferecht der Bundesrepublik. Wir haben mit Vorstand Michael Löher gesprochen und ihn gefragt, was den Deutschen Verein erfolgreich macht, wie das 140-jährige Jubiläum begangen wird und was er sich anlässlich des Jubiläums wünscht.

dv aktuell: Herr Löher, dieses Jahr begeht der Deutsche Verein sein 140-jähriges Jubiläum. Was ist das "Erfolgsgeheimnis" des Deutschen Vereins?

Michael Löher: Bereits bei der Gründungsveranstaltung im Jahre 1880 war es den damaligen Akteuren vor allem wichtig, gemeinsam fachliche Arbeit "im Dienste der Sache" zu leisten – jenseits weltanschaulicher und politischer Ausrichtung und über die unterschiedlichen Zuständigkeiten im Sozialen hinweg. Ein weiterer zentraler Punkt war, sich nicht nur theoretisch mit den Themen auseinanderzusetzen, sondern diese immer mit Erfahrungen aus der Praxis zu verbinden. Und von Anfang an waren Kommunen, Wohlfahrtsorganisationen, die Wissenschaft und Einzelpersonen Mitglied im Deutschen Verein. Diese konstituierenden Grundgedanken gelten bis heute.

Wenn man also von so etwas wie einem "Erfolgsgeheimnis" sprechen kann, dann würde ich sagen, es liegt in den klugen Entscheidungen der damaligen Akteure. Sie haben richtig erkannt, dass Lösungen, die gemeinsam diskutiert und erarbeitet werden, besonders tragfähig sind – und dass es dafür einen Ort geben muss, an dem es möglich ist, diese zu erarbeiten.

Und: Seit seiner Gründung steht der Deutsche Verein für eine hohe Fachlichkeit, die nur erreicht werden konnte und wird, weil über die 140 Jahre hinweg sich viele hervorragende Expertinnen und Experten haupt- und ehramtlich für den Deutschen Verein und die Suche nach praktikablen Antworten auf soziale Fragestellungen engagieren.

dv aktuell: Haben Sie für das 140-jährige Jubiläum besondere Aktivitäten geplant?

Michael Löher: Wir haben bereits im letzten Jahr anlässlich der 100 Jahre Umbenennung in "Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge" über die damals vollzogenen grundlegenden Reformen im NDV berichtet. Diese einschneidenden Ereignisse innerhalb der 140-jährigen Geschichte prägen bis heute die Struktur des Deutschen. Auf beide Artikel haben wir zahlreiche Reaktionen erhalten – was uns sehr gefreut hat.

Mulot, Ralf: Sollte der Name des Deutschen Vereins geändert werden?, NDV 10/2019
Schmitt, Sabine: Vor 100 Jahren: Der Deutsche Verein wird modern!, NDV 10/2019

Außerdem haben wir die wechselvolle Geschichte des Deutschen Vereins und seine enge Verknüpfung mit der Entstehung und dem Ausbau des deutschen Wohlfahrtsstaates für das Internet aufbereitet. Dort sind auch Materialen zu historischen Personen zu finden.

In diesem Jahr wollen wir insbesondere durch unsere Hauptausschusssitzung, die diesmal ausnahmsweise am 25. November 2020 stattfindet, das 140-jährige Bestehen würdigen. Die Gründungsveranstaltung hat ja 1880 vom 26. bis 27. November in Berlin stattgefunden. Thematisch widmen wir uns den gleichwertigen Lebensverhältnissen – ein Themenfeld, welches im Kern bereits die Akteure von 1880 beschäftigt und sie letzten Endes zur Gründung des Deutschen Vereins bewogen hat. Darüber hinaus werden wir u. a. eine Publikation mit den Beiträgen zu den historischen Personen veröffentlichen. Es wird eine Jubiläumsausgabe des NDVs geben – unsere Zeitschrift wird in diesem Jahr auch 100 Jahre alt – und eine Sonderveröffentlichung des Archivheftes, welches seit 50 Jahren aktuelle Fragen des Sozialrechts, der Sozialpolitik und der sozialen Arbeit gleichermaßen von ausgewiesenen Fachleuten aus der Wissenschaft wie von Akteuren und Akteurinnen aus Politik und aus der Praxis abhandelt.

dv aktuell: Was wünschen Sie sich zum 140-jährigen Jubiläum?

Michael Löher: Ich wünsche mir vor allem, dass sich weiterhin viele Menschen aktiv im Deutschen Verein engagieren und damit bereit sind, sich gemeinsam für das Soziale einzusetzen. Ich wünsche mir dazu auch die notwendigen Freiräume und Rahmenbedingungen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass wir alle – als Gesellschaft – Fürsorge neu und positiv besetzen. Fürsorge beinhaltet in meinen Augen, füreinander – aber auch für sich – zu sorgen. Es ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Dem Staat fällt dabei die Aufgabe zu, die Grundlagen und den Rahmen zu schaffen, damit Menschen teilhaben können, dass sie Unterstützung erhalten und auch ein Anrecht darauf haben, wenn sie diese benötigen. Und er sollte dafür Sorge tragen und Angebote schaffen bzw. unterstützen, damit Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten können.

Und ich wünsche mir sehr, dass der notwendige fachliche und auch politische Konsens, die Bereitschaft zu Kompromissen in der Gesellschaft wieder mehr geachtet und gefördert werden, sonst sehe ich den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft in großer Gefahr.

dv aktuell: Vielen Dank für das Gespräch!

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