Drei Fragen an Dr. Albrecht Philipp

Dr. Albrecht Philipp ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht und für Sozialrecht in München. Für unser neues Themenheft "Vergaberecht in der Praxis Sozialer Arbeit" hat er den einführenden Beitrag verfasst.

Im Interview haben wir ihn gefragt, warum das Vergaberecht bei den Leistungserbringern in so einem schlechten Ruf steht und ob die Bedeutung des Vergaberechts steigen wird.


dv aktuell: Warum steht das Vergaberecht v. a. bei den Leistungserbringern in so einem schlechten Ruf?

Dr. Albrecht Philipp: Zum einen ist ein Vergabeverfahren aus Gründen der Chancengleichheit stark formalisiert und bürokratisch aufgeladen. Gespräche zwischen Vergabestelle und Bieter sind im Vorfeld der Vergabeentscheidung sogar verboten. Die Erstellung eines Angebots bedeutet deshalb sehr viel Arbeit, und Absprachen und Rückfragen sind entgegen der überkommenen Kooperation zwischen Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern nicht mehr möglich. Das macht es vielen, namentlich kleineren Leistungserbringern schwer.

Zum anderen waren viele Ausschreibungen in den ersten Jahren der Anwendung des Vergaberechts auf soziale Dienstleistungen zu sehr auf den Preis fixiert, was wichtige qualitative Strukturen zerschlug und – wegen des in aller Regel sehr hohen Anteils des Personals an den Gesamtkosten – auf dem Rücken der Fachkräfte ausgetragen wurde.


dv aktuell: Müssen vergaberechtliche Vorgaben bei jeder Auftragsvergabe im Sozialwesen angewandt werden?

Dr. Albrecht Philipp: Nein. Vergaberecht ist nur anwendbar, wenn die Vergabestelle entweder für ihre Rechtsbeziehungen zum Leistungserbringer eine bestimmte Struktur wählt. In dieser Struktur wird die Leistung für den ausgeschriebenen Zeitraum ausschließlich von dem Gewinner der Ausschreibung unter Ausschluss aller anderen Leistungserbringer erbracht. Oder Vergaberecht ist anwendbar, wenn es in einem förderrechtlichen Kontext als Nebenbestimmung angeordnet wird. Dagegen unterliegt das überkommene Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis nicht dem Vergaberecht.


dv aktuell: Welche Perspektiven sehen Sie: Wird die Bedeutung des Vergaberechts steigen, wie Viele meinen?

Dr. Albrecht Philipp: Ich teile diese Einschätzung nicht. Das Vergaberecht hat seine Stärken und seine Berechtigung vor allem dort, wo eine namhafte Zahl möglicher Bieter über die Ressourcen verfügt oder sie beschaffen kann, um ein preisgünstiges Angebot machen zu können. Wir erleben aber in fast allen Bereichen des Sozialsystems aktuell einen gravierenden Mangel an Fachkräften und sogar Hilfskräften, und daran wird sich in den kommenden Jahrzehnten kaum etwas ändern. Deshalb müssen Gesellschaft und Vergabestelle immer häufiger froh sein, wenn überhaupt ein Träger das erforderliche Personal hat und die gewünschte Leistung erbringen kann. Hier sind kooperativ ausgestaltete Rechtsbeziehungen wie z. B. die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen im Jugendhilferecht und in der Eingliederungshilfe oder auch eine förderrechtliche Ausgestaltung wesentlich besser geeignet als das Vergaberecht. Ich nehme deshalb an, dass die große Zeit des Vergaberechts im Sozialbereich bereits zu Ende ist.


dv aktuell: Vielen Dank für das Gespräch.

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