Empfehlungen/Stellungnahmen 2019

26.09.2019 – Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien

Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. März 2019 – 1 BvR 673/17 (BGBl. I S. 737) – den vollständigen Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31. März 2020 eine Neuregelung zu treffen. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf setzt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz dieses Urteil um. Die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins begrüßt den Referentenentwurf als eine Anpassung an die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland. Denn immer mehr Kinder wachsen mit Eltern auf, die einander in nichtehelichen Lebensgemeinschaften verbunden sind, sodass die Grundannahme "Kinder in Ehen hätten einen Vorteil gegenüber Kindern in nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften, der über die deutlich größere Beständigkeit des Verhältnisses der Bezugspersonen zueinander vermittelt wäre"[1] für unsere Gesellschaft heute nicht mehr zutrifft. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf soll nichtehelichen Stieffamilien, die in einer "verfestigten Lebensgemeinschaft" eheähnlich zusammenleben bzw. mit einem gemeinsamen Kind im Haushalt leben, die Adoption von Stiefkindern ermöglicht werden.

Die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins begrüßt dies, regt jedoch an, die im Referentenentwurf formulierten Regelbeispiele zu prüfen. Die Angabe einer Dauer des Zusammenlebens von zwei Jahren erscheint vor dem Hintergrund sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse und dem Vorgehen in der Adoptionsvermittlungspraxis zu kurz. Die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins macht des Weiteren auf den zusätzlichen Aufwand bei den Jugendämtern/Adoptionsvermittlungsstellen aufmerksam, der aus Sicht der Geschäftsstelle mit durchschnittlich fünf Stunden pro Stiefkindadoption (unter der neuen Gesetzgebung und vier Stunden regulär) eher niedrig angesetzt ist. Da Fachkräfte schon jetzt über Zeitknappheit bei der Prüfung von Stiefkindadoptionen berichten, liegt die Vermutung nahe, dass die mit der Adoption zusammenhängenden Tätigkeiten, wie die Beratung des Annehmenden im Vorfeld der Adoption, die Beleuchtung der familiären Situation vor Ort, die Erörterung der Adoptionsmotive und die Erstellung der fachlichen Äußerung nach § 189 FamFG, mehr Zeit in Anspruch nehmen als die angegebenen vier Stunden und dementsprechend auch der Mehraufwand, durch einen Anstieg der Adoptionsanträge, höher ausfällt als hier prognostiziert.

Die im Entwurf vorgeschlagene Änderung des materiellen Rechts zieht auch eine Anpassung im Internationalen Privatrecht nach sich. Bezüglich der Änderungen im Bereich des Kollissionsrechtes rät die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins zu Vorsicht im Hinblick auf die Eliminierung jeglichen Anknüpfungspunktes. Insbesondere die Konzentrationszuständigkeit sollte erhalten bleiben. Die Geschäftsstelle des Deutschen Vereins regt dazu an, die Gelegenheit der aktuellen Debatte zu nutzen, um über zusätzliche Varianten der rechtlichen Ausgestaltung der Beziehung von Stiefelternteil und Kind nachzudenken. Der Deutsche Verein hat bereits in einem Diskussionspapier aus dem Jahr 2014 angeregt, die stärkere rechtliche Ausgestaltung der sozialen Elternschaft des Stiefelternteils zu prüfen, um so eine rechtliche Absicherung des Stiefkindes auch ohne Adoption zu ermöglichen.

Aktuell ist die Stiefkindadoption die einzige Möglichkeit, eine faktisch bestehende Beziehung von Stiefkind und Stiefelternteil rechtlich umfassend abzusichern, zum Beispiel für den Fall, dass dem leiblichen Elternteil etwas zustößt, sowie um gemeinsame Kinder und Stiefkinder gleichzustellen. Fraglich ist jedoch, ob dazu in jedem Fall die Volladoption des Stiefkindes, die schließlich immer auch das Erlöschen der verwandtschaftlichen und rechtlichen Beziehung zum abgebenden Elternteil und dessen Familie (wie z.B. Großeltern) bedeutet, unbedingt notwendig und sinnvoll ist. Der Deutsche Verein hat bereits an anderer Stelle betont, dass die Adoption einen tiefgreifenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Kindesdarstellt und deshalb immer dem Wohl des Kindes dienen sollte.


[1] Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts e.V. als sachkundiger Dritter nach § 27a BVerfGG zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 673/1, S. 4.

Vollständige Empfehlung/Stellungnahme vom 26.09.2019 [PDF, 160 KB]

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