Page 7 - Nachrichtendienst NDV 12/2021
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 NDV 12/2021 IM FOKUS
Annika von Walter und Friedemann Christ:
Das inklusive Kinder- und Jugendhilfe- recht ins Leben bringen
Oder: Warum die Reform des SGB VIII zwingend eine Reform des Jugendamts braucht.
Die Reform des SGB VIII bringt große Herausforderungen für die öffentliche Jugendhilfe mit sich. Es stehen ähnlich große Veränderungen an wie zur Einführung des SGB VIII vor über dreißig Jahren – und somit eine Neuorientierung der Jugendhilfe, die weit in die 2040er-Jahre weist. Insbesondere die Übernahme von Leistungen für junge Menschen mit Behinderung und die konsequente, sozialräumliche Personenzentrierung erfordern orga- nisationale, prozessuale und kulturelle Veränderungen. Die Autorin und der Autor zeigen, warum das jetzt ansteht und wie das gelingen kann.
Am 10. Juni 2021 ist das neue Kinder- und Jugendstärkungs- gesetz (KJSG) in Kraft getreten. Es beinhaltet neben vielen Än- derungen zum Kinder- und Jugendschutz, zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien, zur Prävention vor Ort und zur Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Fa- milien auch Veränderungen in Richtung einer inklusiven Kin- der- und Jugendhilfe (vgl. Gallep 2021, 392 ff.). Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX, die bisher meist in der Ver- antwortung der Sozialämter lagen, werden sukzessive an die Jugendämter überführt. Gerade dieser Aspekt, die sogenann- te „Große Lösung“, bringt große Herausforderungen für die Ju- gendämter mit sich. Denn ein neues, inklusives Kinder- und Jugendhilferecht braucht zwingend auch ein neues Jugend- amt – ein „Haus der Jungen Menschen“. Warum ist das so?
Der Einbau eines Fahrstuhls mag eine offensichtliche Barriere beseitigen. Ebenso notwendig sind jedoch die Nutzung Leich- ter Sprache, die Arbeit mit Gebärdensprachdolmetscher/in- nen, ein Blindenleitsystem etc., um Zugang für und Kommu- nikation mit jungen Menschen mit Behinderung zu ermögli- chen. Doch es geht um mehr: Die Angebote der Jugendhilfe in allen Bereichen, von der Kindertagesbetreuung über Schutz- konzepte bis hin zur Beratung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) müssen inklusiv ausgerichtet werden:
▶ FamilienmiteinembehindertenKindmüsseninderUm- stellung vom Sozial- zum Jugendamt abgeholt und beglei- tet werden.
▶ SiemüsseninihrensehrunterschiedlichenBedarfenund Bedürfnissen angemessen beraten werden.
 Annika von Walter
ist Rehabilitationspädagogin, Erziehungs- wissenschaftlerin und Organisationsent- wicklerin. Als Senior Beraterin bei gfa | public setzt sie Veränderungsprozesse insbesondere im Bereich Teilhabeleistun- gen um, berät Führungskräfte und moderiert Workshops zu strukturellen, prozessualen und kulturellen Fragen im Jugend- und Sozialamt.
Dr. Friedemann Christ
ist Politikwissenschaftler und Organisa- tionsberater. Als Gründer und Geschäfts- führer von gfa | public begleitet er seit 2004 Sozialverwaltungen im gesamten Bundesgebiet bei der Verbesserung von Zielsteuerung, Organisationsstrukturen, fachlichen Standards, Ergebnis- und Prozessqualität sowie der guten Umset- zung von neuen rechtlichen und politischen Vorgaben; im Großen wie im Kleinen.
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