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 AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
NDV 12/2021
gilt für sie gemäß Art. 1 EFA das Gebot der Inländergleichbe- handlung. Daher stellt sich diese Frage für erlaubte Aufenthal- te nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (erste drei Monate) und Nr. 2 Al- ternative 2 SGB XII (Arbeitsuche).
Mehrere LSG gehen zutreffend – in Fortschreibung der vor De-
zember 2016 ergangenen Rechtsprechung des BSG32 – da-
von aus, dass für Angehörige von EFA-Staaten kein Leistungs-
ausschluss gelte.33 Hiernach können sie Leistungen nach § 23
Abs. 1 SGB XII geltend machen. Zentrales Argument ist, dass
das EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht einen Gleich-
behandlungsanspruch regele und Deutschland – anders als
anlässlich des Leistungsausschlusses im SGB II34 – keinen Vor-
behalt eingelegt habe.35 Andernfalls müsste man annehmen,
der deutsche Gesetzgeber habe einen Vorbehalt einlegen wol-
len, ohne das völkerrechtlich nach dem EFA vorgesehene Ver-
fahren einhalten zu wollen. Dafür gebe es keine Anhaltspunk- te.36
Das LSG Celle verneint das und sieht Angehörige von EFA-Mit- gliedstaaten von den Leistungsausschlüssen erfasst.37 Das hierfür vorgebrachte Argument, die Gesetzesbegründung ver- weise nicht auf das EFA und daher sei die frühere Rechtspre- chung des BSG nicht übertragbar,38 überzeugt nicht. Schlüsse aus der Gesetzesbegründung können keine völkerrechtlichen Bindungen suspendieren. Auch das Argument, das Gleichbe- handlungsgebot greife nicht, weil für deutsche Erwerbsfähige ein Anspruch nach dem SGB XII nicht bestehe, sondern diese dem SGB II zugewiesen seien,39 begegnet Einwänden. Bezugs- punkt für den Vergleich sollten Personen sein, die nach § 19
SGB XII „ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln (...) bestreiten können“ – anspruchsberechtigt und nicht von der Sperre des § 21 SGB XII erfasst sind (s.o. 2.)
4.1.4. Bemessung der Rückausnahme nach fünfjähri- gem Aufenthalt
Nach § 23 Abs. 5 Satz 8 SGB XII beginnt die Frist für den fünf- jährigen Aufenthalt, nach dem die Leistungsausschlüsse nicht gelten (s.o. 2.), mit Anmeldung bei der Meldebehörde. Ver- schiedene Landessozialgerichte lassen auch andere Umstän- de als eine Meldebescheinigung ausreichen, aus denen sich Schlüsse auf den Aufenthalt ziehen lassen.40
4.1.5 Ausnahme von der Rückausnahme – Keine Rechtskraft der Verlustfeststellung
Nach § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbsatz 2 SGB XII gilt die Rückaus- nahme von § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII – kein Leistungsaus- schluss bei fünfjährigem Aufenthalt – nicht, „wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde“. Dafür reicht die Verlustfeststellung durch die Ausländerbehörde. Falls der oder die Betroffene dagegen klagt, ändert dies mehreren Landessozialgerichten zufolge nichts daran, dass die Rückausnahme nicht gilt – dass also der Leistungsausschluss gilt.41 Begründet wird dies damit, dass der Wortlaut nur die Feststellung, nicht aber die Rechtskraft voraussetze.42 Auch führe bereits die behördliche Feststellung zur Ausreisepflicht. Die Klage hemme nur deren Durchsetzung. Bereits das Bestehen einer Ausreisepflicht stehe der Annahme eines verfestigten Aufenthalts entgegen.43
32 BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 59/13 R, Rdnr. 20.
33 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2017, L 15 SO 321/16 B ER, Rdnr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2017, L 15 SO 104/17
B ER, L 15 SO 105/17 B ER PKH, Rdnr. 22; LSG Essen, Beschluss vom 31. August 2017, L 20 SO 319/17 B ER, L 20 SO 320/17 B, Rdnr. 42; LSG Essen, Beschluss vom 21. Dezember 2017, L 7 AS 2044/17 B ER, Rdnr. 42; LSG Chemnitz, Beschluss vom 29. April 2020, L 7 AS 76/20 B ER, Rdnr. 43; LSG Halle, Beschluss vom 19. September 2017, L 8 SO 32/17 B ER, Rdnr. 34; LSG Halle, Beschluss vom 7. März 2017 L 2 AS 127/17 B ER, Rdnr. 61; i. Erg. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 2021, L 18 AS 1572/18, Rdnr. 37; LSG Stuttgart, Urteil vom 17. April 2019, L 2 SO 1477/18, Rdnrn. 32 ff.; LSG Stuttgart, Beschluss vom 31. Juli 2017, L 7 SO 2557/17 ER-B, Rdnrn. 24 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2019, L 15 SO 15/19 B ER, Rdnr. 6; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. November 2017, L 18 AS 2172/17 B ER Rdnr. 6; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2017, L 18 AS 526/17 B ER, Rdnr. 3.
34 Ausführlich Löhr (2021), Rdnr. 57.
35 LSG Essen, Beschluss vom 31. August 2017, L 20 SO 319/17 B ER, L 20 SO 320/17 B, Rdnr. 42; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2017, L 15 SO
321/16 B ER, Rdnr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2017, L 15 SO 104/17 B ER, L 15 SO 105/17 B ER PKH, Rdnr. 22.
36 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2017, L 15 SO 321/16 B ER, Rdnr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2017, L 15 SO 104/17
BER,L15SO105/17BERPKH,Rdnr.22.
37 LSG Celle, Beschluss vom 14. März 2019, L 13 AS 43/19 B ER, Rdnr. 8.
38 Fußn. 37, Rdnr. 8.
39 LSG Celle (Fußn. 37), Rdnr. 8; i. Erg. ebenso LSG Halle, Beschluss vom 19. September 2017, L 8 SO 32/17 B ER, Rdnr. 34.
40 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2017, L 15 SOL 112/17 B ER, Rdnr. 25, unter Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. April
2017, L 15 SO 353/16 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. April 2017, L 15 SO 353/16 B ER, Rdnr. 44; LSG Essen, Beschluss vom 5. Mai 2021, L 9 SO 56/21 B ER: zumindest bei fehlender Meldepflicht, Rdnrn. 19 f., unter Aufgabe der Position aus Beschluss vom 26. Februar 2019, L 9 SO 672/18 B ER; Nachweise f. entspr. Arg. zu § 7 SGB II bei GGUA (2021), S. 45 ff.
41 LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17, Rdnr. 6; LSG Celle, Beschluss vom 26. Mai 2017, L 15 AS 62/17, Rdnr. 12.
42 LSG Hamburg (Fußn. 41), Rdnr. 6.
43 LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, Rdnr. 6; LSG Celle, Beschluss vom 26. Mai 2017, L 15 AS 62/17, Rdnr. 12, beide unter Ver-
weis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/10211, S. 14 i.V.m. S. 16.
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