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 NDV 12/2021
AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
rechtlichen Begriff des Arbeitnehmers oder Selbstständi-
gen zu erfüllen.
▶ Gemäß § 2 Abs. 1a FreizügG/EU sind Unionsbürgerinnen
und -bürger freizügigkeitsberechtigt, „die sich zur Arbeitsu- che aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Ar- beit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden“. Diese Gruppe ist trotz Freizügigkeitsberechtigung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 SGB XII ausge- schlossen.
▶ Der Ausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 – Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen – wird hier nicht vertieft.
Wer sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Un- terbrechung im Bundesgebiet aufhält, wird gemäß § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII nicht von den Ausschlüssen erfasst. Anderes gilt nur, wenn die Ausländerbehörde den Verlust der Freizügigkeit festgestellt hat. Die Frist für den fünfjährigen Aufenthalt be- ginnt gemäß § 23 Abs. 3 Satz 8 SGB XII mit Anmeldung bei der Meldebehörde.
3.3 Überbrückungsleistungen
Nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII erhalten vom Leistungsaus- schluss Betroffene „bis zur Ausreise, längstens jedoch für ei- nen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen (...), um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen)“. Hin- zu kommen auf Antrag gemäß § 23 Abs. 3a SGB XII angemes- sene Kosten der Rückkehr. Über beides sind Betroffene gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB XII zu unterrichten. Die Überbrückungs- leistungen umfassen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5:
„1. Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege,
2. Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Hei- zung in angemessener Höhe (...),
3. die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzu- stände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linde- rung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und
4. Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3“, also Hilfe bei Schwan- gerschaft und Mutterschaft.
Die Überbrückungsleistungen decken – ohne Berücksichti- gung der Härtefallklausel – nicht das vollständige Existenzmi- nimum ab: „Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungs- anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Exis- tenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindest- maßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und po- litischen Leben“, so das BVerfG (Urteil vom 5. November 2019, 1 BvL 7/16, Rdnr. 119 m.w.N.). Das umfasst das physische und das soziokulturelle Existenzminimum. Das BVerfG betont, dass sich „die Gewährleistung aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen ‚Kernbereich‘ der physi- schen und einen ‚Randbereich‘ der sozialen Existenz aufspal- ten“ lasse. Vielmehr werde „die physische und soziokulturelle Existenz (...) einheitlich geschützt“ (BVerfGE a.a.O., Rdnr. 119). § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII aber ist auf das physische Existenz- minimum begrenzt, und so kommt der Härtefallklausel be- sondere Bedeutung zu.
3.4 Härtefallklausel
§ 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII lautet: „Soweit dies im Einzelfall be- sondere Umstände erfordern, werden Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leis- tungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu er- bringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Um- stände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur De- ckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.“ Die Härtefallklausel ist wichtig, weil hierüber die Beschränkungen der Überbrückungsleistungen zumindest in Einzelfällen aus- geglichen werden können.
4. Einzelfragen in der Rechtsprechung
4.1 Einzelfragen zu den Leistungsausschlüssen
4.1.1. Vereinbarkeit mit Unions- und Verfassungsrecht
An der Vereinbarkeit des Ausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB XII mit Unionsrecht werden in der LSG-Rechtspre- chung keine Zweifel geäußert.3 Das entspricht auf Grundla-
3 LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019, L 15 SO 181/18, Rdnr. 52; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER, Rdnr. 39; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019, L SO 279/18 B ER, Rdnr. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Februar 2018, L 26 AS 24/18 B ER, Rdnr. 7; LSG Essen, Beschluss vom 31. August 2017, L 20 SO 319/17 B ER, L 20 SO 320/17 B, Rdnr. 41; LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017, L 4 SO 55/17 B ER, Rdnr. 9; LSG Erfurt, Beschluss vom 1. November 2017, L 4 AS 1225/17 B ER, Rdnr. 24.
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