Page 37 - Nachrichtendienst NDV 12/2021
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 NDV 12/2021 AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
Tillmann Löhr:
Unionsbürgerinnen und -bürger in der Sozialhilfe
Leistungsausschlüsse, Überbrückungsleistungen und Härtefallregelung – Teil 1
Bestimmte Gruppen von Unionsbürgerinnen und -bürgern sind von den Leistungen des SGB II und XII ausgeschlossen. Sie haben nur Anspruch auf vorübergehende, im Leistungs- niveau abgesenkte Überbrückungsleistungen nach dem SGB XII. In Härtefällen sind auch darüber hinausgehende Leistungen zu erbringen. Der zweiteilige Beitrag fasst die bisheri- ge Rechtsprechung zu Leistungsausschlüssen, Überbrückungsleistungen und Härtefall- regelung zusammen.
1. Einleitung
Seit den 2010er-Jahren befasst sich die sozialpolitische Dis- kussion mit Unionsbürgerinnen und -bürgern, die aus wirt- schaftlich und sozial prekären Verhältnissen in ihren Her- kunftsstaaten kommen und in Deutschland in ebenfalls pre- kären Verhältnissen leben. Der Deutsche Verein hat frühzeitig die Herausforderungen benannt, die daraus für die Kommu- nen entstehen, und zugleich für eine Versachlichung der De- batte plädiert (Deutscher Verein 2013, 439 f.). Auch in den Pub- likationen des Deutschen Vereins wurde die Diskussion be- gleitet (Kößler/Kanalan 2018; am Beispiel Dortmund Zoerner/ Certa 2020; Ertl/Schütte 2017; Berlit 2017).
Die Gesetzgebung hat mit kontrovers diskutierten Rechtsän- derungen auf den Zuzug der genannten Gruppe reagiert. Ins- besondere wurden im Dezember 2016 Leistungsausschlüsse, die schon im SGB II galten, auf die Leistungsberechtigung für Ausländerinnen und Ausländer nach § 23 SGB XII ausgewei- tet (jeweils m.w.N. zur vorangegangenen Rechtsprechung des BSG und zu den Gesetzgebungsverfahren Berlit 2017; Braun 2018; Löhr 2021, Rdnr. 242). Seitdem ist es politisch ruhiger um das Thema geworden. Fachlich aber bleibt die Diskussion lebhaft: § 23 SGB XII beschäftigt Behörden-, Beratungs- und Rechtsprechungspraxis. Das liegt an seiner Komplexität eben- so wie an verfassungsrechtlichen Gründen.
Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Neufassung von § 23
SGB XII liegen bisher nur sehr vereinzelt vor. Der vorliegen- de Beitrag analysiert den Zwischenstand insbesondere in der obergerichtlichen Rechtsprechung: Welche Fragen sind von den Landessozialgerichten (LSG) – bislang überwiegend im einstweiligen Rechtsschutz – aufgegriffen und wie sind sie ent- schieden worden?
Dies wird, obwohl § 23 SGB XII Unionsbürgerinnen und -bür- ger ebenso wie Drittstaatsangehörige erfasst (hierzu Löhr 2021, Rdnr. 248 i.V.m. Rdnrn. 48–54), hier nur für Unionsbürgerinnen und -bürger untersucht. Zunächst wird in Grundzügen erläu- tert, wann sie Zugang zum SGB II und wann zum SGB XII ha- ben (2.). Ebenfalls in Grundzügen dargestellt wird § 23 SGB XII (3.). Anschließend werden Einzelfragen vertieft, die die Recht- sprechung zu Leistungsausschlüssen (4.1.), Überbrückungs- leistungen (4.2.) und – im zweiten Teil dieses Beitrages – die Härtefallklausel (4.3.) diskutiert.
  Dr. Tillmann Löhr
ist wissenschaftlicher Referent im Arbeitsfeld III „Grundlagen sozialer Sicherung, Sozialhilfe, soziale Leistungs- systeme“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., Berlin Foto: carolinweinkopf.de
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