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 NDV 12/2021
IM FOKUS
ring hält.26 Denn der Effekt des Großeinkaufs dürfte die Mängel, die die Bezifferung der Regelbedarfsstufen aufweist, bei wei- tem überwiegen.
Eine aussagekräftige Vergleichsgröße ergibt sich aus den Roh- lebensmittelkosten der Pflegeheime.27 In vielen Heimverträ- gen finden sich Regelungen für den Fall, dass eine Bewohnerin oder ein Bewohner durch Sondennahrung ernährt wird.28 Im Jahr 2013 ging das OLG Köln in einem solchen Fall von Rohle- bensmittelkosten von 120,– € bis 130,– € monatlich aus.29
Es erscheint kaum denkbar, dass den Leistungserbringern der Eingliederungshilfe für den Einkauf der Rohlebensmittel Kos- ten entstehen, die um mehr als 20 % von dem hier zugrunde gelegten Betrag abweichen. Doch selbst wenn das so wäre, könnte das die Teilentgelte, die für Nahrungsmittel und Hygie- neartikel verlangt werden, nicht angemessen machen, denn es kommt nicht nur auf die Gestehungskosten an, sondern eben- so darauf, dass der geforderte Betrag nicht eklatant und ohne nachvollziehbare Gründe von den Beträgen, die andere Unter- nehmer für vergleichbare Leistungen fordern, abweicht.
Damit sind WBVG-Verträge, mit denen ein Teilentgelt für Nah- rungsmittel und Hygieneartikel in Höhe von 250,– € bis 260,– € monatlich verlangt wird, teilnichtig. Wenn die leistungsbe- rechtigten Personen das überhöhte Entgelt gleichwohl ent- richten, ist ungerechtfertigte Bereicherung des Leistungser- bringers die Folge, was zu einem Rückforderungsanspruch der leistungsberechtigten Person aus § 812 BGB führt. Da ein Ver- stoß gegen ein gesetzliches Verbot zugrunde liegt,30 ist der An- spruch zu verzinsen, § 819 BGB.31 Wenn leistungsberechtigte Personen diesen Anspruch geltend machen, führt das nicht zu einem Anspruch auf ein reziprok erhöhtes Entgelt für die Fach- leistung. Insbesondere ist dies keine unvorhergesehene we- sentliche Änderung der Annahmen, die der Vergütungsverein- barung zugrunde lagen, § 127 Abs. 3 SGB IX.
4.2 Abschöpfung von Mehrbedarfszuschlägen
In Bezug auf das Abschöpfen der Mehrbedarfszuschläge stellt sich die Situation für die Leistungserbringer etwas günstiger
dar. Zunächst kann eine vertragliche Verpflichtung der Ver- braucher, Mehrbedarfszuschläge nach § 30 SGB XII ganz oder teilweise an den Leistungserbringer abzuführen, nicht wirk- sam begründet werden. Dem steht nicht nur § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG entgegen. Auch das Differenzierungsverbot aus §7 Abs. 3 Satz 1 WBVG führt zur Nichtigkeit einer solchen Verein- barung. Darüber hinaus lassen die „Übergangsvereinbarung” für Baden-Württemberg und die Darstellungen der Leistungs- erbringer, mit denen dieser Teil des Entgelts verlangt wird, kei- nen Zweifel daran, dass es sich (auch) hier um einen indirek- ten Kostenbeitrag zugunsten der Träger der Eingliederungs- hilfe handelt, der aber schon wegen § 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX, aber natürlich auch wegen des Fehlens einer Anspruchsgrund- lage des Trägers der Eingliederungshilfe nicht verlangt werden kann. Damit scheitert eine solche Vereinbarung auch an § 32 SGB I. Das Verlangen, Mehrbedarfszuschläge nach § 30 SGB XII an die Leistungserbringer abzuführen, verstößt ferner gegen § 138 BGB und kann auch deshalb keine wirksame Zahlungs- verpflichtung begründen. Haben Leistungsberechtigte gleich- wohl gezahlt, gilt dasselbe wie oben. Ihnen entsteht ein An- spruch aus §§ 812, 819 BGB gegen die Leistungserbringer.
Die Leistungserbringer haben gegen die Träger der Eingliede- rungshilfe einen Anspruch auf Vergütung in Höhe der nach § 125 Abs. 3 SGB IX vereinbarten Entgelte. In Vergütungsver- einbarungen nach § 125 Abs. 3 SGB IX kann nicht wirksam ver- einbart werden, dass der Träger der Eingliederungshilfe das Entgelt kürzt, wenn eine leistungsberechtigte Person einen Mehrbedarfszuschlag nach § 30 SGB XII enthält. Eine solche Vereinbarung verstieße nicht nur gegen § 138 BGB, sondern auch gegen § 134 BGB. § 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX verbietet es dem Träger der Eingliederungshilfe ausdrücklich, einen Bei- trag zu den Aufwendungen von Leistungsberechtigten zu er- heben, die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten. Erst recht ist das Ansinnen der Träger der Eingliede- rungshilfe, Mehrbedarfszuschläge nach § 30 SGB XII über den Umweg der Leistungserbringer zu vereinnahmen, sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB.
Unter der Voraussetzung, dass sie mit dem für sie nach § 123 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zuständigen Träger der Eingliederungshil- fe eine wirksame Leistungs- und Vergütungsvereinbarung ge-
26 Vgl. Stellungnahme der Diakonie Deutschland zum Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 19/22750 vom 23. September 2020); https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/ Diakonie/PDFs/Stellungnahmen_PDF/Diakonie_StN_OEffAnhoerung_RBEG_201028.pdf (19. Juli 2021).
27 Ein Beitrag der Zeit vom 15. September 2016 unter dem Titel „Pflegeheime: Darum müssen Sie für Pflege so viel zahlen“ beziffert die Ausgaben für die Lebensmittelbeschaffung in Pflegeheimen auf 110,– € monatlich, https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-09/pflegeheime-buerokratie-deutsches-pfle- gesystem/komplettansicht (3. November 2021).
28 BGH vom 22. Januar 2004, III ZR 68/03.
29 OLG Köln vom 30. April 2013, I-15 U 22/12, Rdnr. 25; bestätigt durch BGH vom 6. Februar 2014, III ZR 187/13.
30 §7Abs.2Satz1i.V.m.§16WBVG.
31 Ausführlich und zu den prozessualen Fragen, die sich daraus ergeben: Rosenow, Roland: Rückforderungsansprüche von Menschen mit Behinderungen in
Einrichtungen der Eingliederungshilfe?, VuR (Heft 10) 2021, 372–381.
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