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 IM FOKUS
NDV 12/2021
BGB).19 Ein vertraglicher Anspruch des Leistungserbringers ge- gen die leistungsberechtigte Person (Verbraucher) kann nicht zustande kommen, wenn die Vorschriften des WBVG oder des BGB eine Vertragsgestaltung, aus der der Anspruch sich erge- ben soll, ausschließen. Einen Anspruch der Träger der Einglie- derungshilfe gegen Leistungsberechtigte auf einen Beitrag zu den Aufwendungen der Eingliederungshilfe kann es wegen § 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX nicht geben. Danach müssen Perso- nen, die Leistungen der Eingliederungshilfe und zugleich Leis- tungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II, dem SGB XII oder § 27a BVG beziehen, keinen Beitrag zu den Aufwendun- gen aufbringen, § 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX.
4.1 Entgelt für Nahrungsmittel und Hygieneartikel
§ 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG normiert, dass die Verbraucher das Entgelt (nur) schulden, „soweit dieses insgesamt und nach seinen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen ange- messen ist”. Mit dem Begriff der Angemessenheit wurde ein im Vergleich zur Vorgängervorschrift (§ 5 Abs. 7 HeimG a.F.) „deut- lich verschärfter Prüfmaßstab”20 vorgegeben. Nach diesem Maßstab sind Gesamtentgelt und Teilentgelte angemessen, wenn die Leistungen des Unternehmens „in einem objektiv vernünftigen Verhältnis” zu dem ihnen korrelierenden Entgelt stehen und wenn das Entgelt sowie die Teilentgelte „auch in vergleichbaren Einrichtungen des örtlichen Umkreises der Ein- richtung des Unternehmens unter gewöhnlichen Umständen tatsächlich und üblicherweise gezahlt wird”.21 Das Pflegesatz- urteil des BSG vom 26. September 2019 kann herangezogen werden, um diesen Maßstab zu konkretisieren, insbesondere hinsichtlich der zuzugestehenden Gewinnmarge.22 Danach ist zunächst von den Gestehungskosten auszugehen. Ausgehend von §§ 84 ff. SGB XI hält das BSG bereits einen pauschalen Risi- kozuschlag von 4 % der Gestehungskosten für unangemessen hoch. Zwar ist der Begriff der Angemessenheit aus § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG nicht identisch mit dem Begriff der „angemesse- nen Vergütung” des Unternehmerrisikos aus § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB XI. Dennoch ist auch bei der Prüfung des angemessenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, die § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG verlangt, von den Gestehungskosten des Unter- nehmers auszugehen.23
In Bezug auf die Zurverfügungstellung von Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln ist die Ermittlung der Gestehungskos- ten denkbar einfach, denn in aller Regel kaufen die Leistungs- erbringer diese Güter ein. Die Gestehungskosten sind dann schlicht die Beschaffungskosten. Die Überlegungen aus der Begründung des Pflegesatzurteils des BSG vom 26. September 2019 sind auf den Begriff der Angemessenheit aus § 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG auch insoweit zu übertragen, als jedenfalls eine Gewinnmarge von 4 % der Gestehungskosten nicht als ange- messen gelten kann. Wahrscheinlich wird sich der Leistungs- erbringer mit einer Marge von ein bis zwei Prozent begnügen müssen. Schließlich ist es nicht erlaubt, „im Wege einer Misch- kalkulation” einzelne Leistungen unangemessen billig anzu- bieten und andere Leistungen dagegen unverhältnismäßig zu verteuern.24 Das Entgelt für Nahrungsmittel und Hygienearti- kel kann daher wirksam nur vereinbart werden, soweit es im Verhältnis zur Lieferung dieser Waren angemessen ist.
Aus der oben zitierten „Übergangsvereinbarung” ergibt sich, dass der Bezifferung des Entgelts für Nahrungsmittel und Hy- gieneartikel nicht die Intention, ein angemessenes Verhält- nis von Leistung zu Gegenleistung herzustellen, zugrunde lag, sondern das Ziel der „Budgetneutralität”. Natürlich könnte ein angemessenes Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung auch zufällig zustande gekommen sein. Doch das ist nicht der Fall.
Zunächst weicht das Teilentgelt stark von dem Betrag ab, der im Regelsatz kalkulatorisch für Nahrungsmittel, Geträn- ke und Tabakwaren berücksichtigt wurde. Im Betrag der Re- gelbedarfsstufe 1 für das Jahr 2020 (432,– €) ist ein kalkula- torischer Anteil i.H.v. 150,62 € für diese Position enthalten.25 Dieser Betrag beruht auf der Einkommens- und Verbrauchs- stichprobe (EVS) und damit auf den Ausgaben einer unteren Einkommensgruppe für die in der Position 1 (Nahrungsmit- tel, Getränke und Tabakwaren) aufgeführten Waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vergleichsgruppe der EVS für die Regelbedarfsstufe 1 Personen sind, die in Einpersonenhaus- halten leben. Die Beschaffungskosten für Nahrungsmittel sin- ken jedoch erheblich, wenn große Mengen für eine große Zahl von Personen eingekauft werden. Die Position 1 aus der EVS ist daher auch dann geeignet, um die Beschaffungskosten für Nahrungsmittel zu schätzen, wenn man den Betrag für zu ge-
19 Zu den Auswirkungen von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auf WBVG-Verträge s. BGH vom 12. Mai 2016, III ZR 279/15 (BGHZ 210, 233–249 = NJW-RR 2016, 944– 948 = Sozialrecht aktuell 2016, 148–153); BGH vom 7. Februar 2019, III ZR 38/18 (NJW-RR 2019, 942–946 = Sozialrecht aktuell 2019, 236–240).
20 Bachem/Hacke, WBVG Kommentar, 2015, § 7 Rdnr. 67.
21 Bachem/Hacke, WBVG Kommentar, 2015, § 7 Rdnr. 70.
22 BSG vom 26. September 2019, B 3 P 1/18 R.
23 So bereits zum vormaligen HeimG OLG München vom 25. April 2001, 3 U 2744/98.
24 Bregger in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger: jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 7 WBVG (Stand: 1. Februar 2020), Rdnr. 12; so auch Bachem/Hacke, WBVG
Kommentar, 2015, § 7 Rdnr. 66.
25 Schwabe, Bernd-Günter: Einzelbeträge aus den Regelbedarfsstufen ab 1.1. 2020: Leistungsfälle nach dem SGB II, dem SGB XII und nach § 2 AsylbLG, ZfF 2020,
1–20 (3).
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