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 NDV 12/2021
IM FOKUS
Die Übergangsvereinbarung für Baden-Württemberg enthält dazu die folgende Passage:
Es ist kein Zufall, dass es dieser Passage an Klarheit gebricht. Die Vertragspartner der „Übergangsvereinbarung” müs- sen sich darüber im Klaren gewesen sein, dass die betroffe- nen Leistungsberechtigten nicht verpflichtet werden kön- nen, Mehrbedarfszuschläge direkt oder indirekt an die Träger der Eingliederungshilfe zu zahlen. Gemeint ist mit der Passa- ge, dass der Träger der Eingliederungshilfe den Mehrbedarfs- zuschlag von der Vergütung, die er an den Leistungserbringer zahlt, in Abzug bringt. Es ist Sache des Leistungserbringers, diesen Betrag von den Leistungsberechtigten zu fordern. Sie setzen das auf unterschiedliche Weise um. Zwei Beispiele:
Die WBVG-Verträge der Liebenau Teilhabe gemeinnützige GmbH enthalten folgende Passage:
Die SKID gGmbH in Überlingen teilt Leistungsberechtigten vor der Aufnahme mit einem Standardschreiben mit:
Der WBVG-Vertrag enthält unter der Überschrift „Berechnung Gesamtentgelt” die Zeilen:
In beiden Fällen wird mit mehr oder weniger Geschick der Ein- druck erweckt, die leistungsberechtigte Person sei verpflich- tet, wegen des Erhalts eines Mehrbedarfszuschlages einen diesem ungefähr entsprechenden Betrag an den Leistungs- erbringer zu entrichten.18 Die Formulierung „Entgelt für Mehr- bedarf” hat eine absurde Note: Der Leistungserbringer fordert ein Entgelt, dessen Gegenleistung (§ 7 Abs. 2 Satz 1 WBVG) da- rin liegen soll, dass der (vermeintliche) Schuldner über ein be- stimmtes Einkommen verfügt. Das mag auf eine gewisse Hilf- losigkeit oder aber auf bemerkenswerte Chuzpe verweisen.
4. Rechtliche Bewertung
Das Rechtsverhältnis zwischen leistungsberechtigter Person und Leistungserbringer ist stets ein zivilrechtliches, das im- mer dann, wenn der Leistungserbringer Wohnraum zur Ver- fügung stellt und zugleich Teilhabeleistungen wegen einer Behinderung erbringt, dem Wohn- und Betreuungsvertrags- gesetz (WBVG) unterfällt. Das WBVG ist durchgehend zwingen- des Recht (§ 16 WBVG) und schränkt die Vertragsfreiheit der Verbraucher und der Unternehmer (in der Nomenklatur des WBVG) erheblich ein. WBVG-Verträge sind nahezu ausnahms- los Formularverträge und unterfallen daher nicht nur dem all- gemeinen Vertragsrecht des BGB, sondern auch den Bestim- mungen über allgemeine Geschäftsbedingungen (§§305ff.
  „Im Einzelfall sind bei der Gewährung der Eingliede- rungshilfeleistungen individuelle Mehrbedarfe i.S.d. § 30 SGB XII im Rahmen der existenzsichernden Leistungen zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, wer für die Deckung des jeweiligen Mehrbedarfs sorgt.”14
„Alle Klienten, die in ihrem B-Ausweis das Merkzeichen G haben, erhalten vom Grundsicherungsamt einen Mehr- bedarf von 66,13 € monatlich. Hiervon muss ein Betrag von 64,94 € ebenfalls monatlich an die Einrichtung über- wiesen werden.”16
 „Entgelt für Lebens- und Hauswirtschafts-
mittel 255,46 € Entgelt für Mehrbedarf nach § 30 SGB XII
(Merkzeichen G) 64,94 €”17
 „Soweit dem Bewohner kostenaufwendige Ernährung bzw. das Merkzeichen ‚G‘ bzw. ‚aG‘ zuerkannt wurde, wird das Entgelt für die Fachleistungen nicht in voller Höhe von dem Träger der Eingliederungshilfe übernom- men. In diesen Fällen schuldet der Bewohner den Be- trag, der sich aus der Differenz des von dem Träger der Eingliederungshilfe übernommenen Betrages und dem Bewohner geschuldeten Gesamtbetrag für die Fachleis- tungen ergibt. Der Bewohner kann diesen Betrag aus den ihm zur Verfügung stehenden Mehrbedarfsleistun- gen finanzieren, soweit er im Rahmen der Existenzsiche- rung durch den Kostenträger Leistungen wegen Mehrbe- darfen (Schwerbehinderung Merkzeichen ‚G‘ bzw. ‚aG‘ bzw. kostenaufwendige Ernährung) erhält. 15
14 § 6 Abs. 11 der Vereinbarung; nicht in allen Bundesländern wird versucht, den Mehrbedarfszuschlag zu vereinnahmen.
15 Teil C, § 6 Abs. 6 des Vertrages. Ein solcher Vertrag liegt dem Autor vor. Es handelt sich um einen Formularvertrag (§ 305 BGB). Daher ist anzunehmen, dass
dieser Vertrag in gleicher oder ähnlicher Weise in einer großen Zahl von Fällen geschlossen wurde.
16 Ein solches Schreiben liegt dem Autor vor.
17 Ein solcher Vertrag, offensichtlich auch ein Formularvertrag, liegt dem Autor vor.
18 Ein weiteres Beispiel ist dargestellt bei Rosenow, Roland: Teilnichtige Wohn- und Betreuungsverträge als Folge der „budgetneutralen Umstellung” der
Eingliederungshilfe, Teil 1, ASR 2021 Heft 5 und Teil 2 ASR 2021 Heft 6 (im Erscheinen).
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