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 NDV 12/2021
IM FOKUS
Zahlung sie jedoch nicht wirksam verpflichtet werden konn- ten. Diese Beträge kommen nicht den Leistungserbringern zu- gute, sondern den Trägern der Eingliederungshilfe, die das, was die Leistungsberechtigten zahlen, ohne dazu verpflichtet zu sein, von dem Entgelt für die Fachleistung, das sie, die Trä- ger der Eingliederungshilfe, schulden, in Abzug bringen. Wenn die Leistungsberechtigten in Unkenntnis ihrer Rechtsposi- tion dennoch zahlen, erwachsen ihnen bereicherungsrecht- liche Ansprüche gegen die Leistungserbringer, die 100,–€ bis 170,– € monatlich betragen dürften. Eine Einrichtung mit 1.000 Bewohnerinnen und Bewohnern kann sich danach ei- ner Rückforderung von mehr als 1,5 Millionen € zzgl. Verzugs- zins pro Jahr ausgesetzt sehen, die nicht nur von den Berech- tigten, sondern auch von den nach § 4 UKlaG qualifizierten Einrichtungen geltend gemacht werden und deren Verjährung wegen der Verbandsklagen-Richtlinie (EU) 2020/1828 mög- licherweise lange über die Verjährungsfrist aus § 195 BGB hi- naus gehemmt sein kann.3
2. Trennung der Leistungen der Eingliede- rungshilfe zum 1. Januar 2020
Mit dem BTHG wurde das Recht der Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht herausgelöst und in ein eigenständiges Leistungsgesetz, den Teil 2 des SGB IX, übertragen.4 Die Un- terscheidung zwischen ambulanten und stationären Leistun- gen, die das Sozialhilferecht vornimmt, wurde nicht übernom- men. Das Leistungsgesetz der Eingliederungshilfe, §§ 90 bis 150 SGB IX, kennt keine Parallelvorschrift zu § 27b SGB XII, der besagt, dass stationäre Leistungen der Sozialhilfe auch den in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt umfassen.5 Die Eingliederungshilfe ist auf die sog. Fachleistung beschränkt.6
Bis zum 31. Dezember 2019 war eine Vergütungsvereinbarung nach § 76 Abs. 2 SGB XII Grundlage der Finanzierung der stati- onären Leistungen der Eingliederungshilfe. Danach war eine
Vergütung auszuhandeln, die sich aus einer Grundpauscha- le, einer Maßnahmepauschale und einem Investitionsbetrag zusammensetzt. Das Gesamtentgelt wurde vom Sozialhilfe- träger an den Leistungserbringer gezahlt.7 Die Trennung der Leistungen bewirkt, dass der Träger der Eingliederungshilfe nur noch für die Fachleistungen der Eingliederungshilfe auf- kommt, in denen die Kosten für die Unterkunft, die Kosten für Nahrungsmittel und die Kosten für einige Hygieneartikel nicht mehr enthalten sind. Die Vergütung musste daher in drei Teil- entgelte aufgeteilt werden: die Vergütung für die Fachleistung (1), für die Unterkunft (2) und für Nahrungsmittel und Hygiene- artikel (3). Die bisherige Aufteilung in Grundpauschale, Maß- nahmepauschale und Investitionsbetrag war dafür nicht ge- eignet.
3. „Budgetneutrale Umstellung”
Mit der „Übergangsvereinbarung” für Baden-Württemberg verfolgen die Träger der Eingliederungshilfe und die Verei- nigungen der Leistungserbringer auf Landesebene das Ziel, eine „budgetneutrale Umstellung” der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII auf die Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX zu bewirken. Für die Seite der Leistungserbringer heißt „budgetneutral”, dass sie dieselben Leistungen erbringen, die sie nach altem Recht erbrachten, und dafür dasselbe Entgelt bekommen. Für die Seite der Träger der Eingliederungshil- fe heißt „budgetneutral”, dass die Gesamtausgaben, die sich nach neuem Recht auf die Eingliederungshilfe und die Sozial- hilfe, in erster Linie die Grundsicherung nach dem 4. Kap. des SGB XII verteilen, nicht verändert werden sollen. Da der Anteil der Sozialhilfe nach dem neuen Recht der Eingliederungshil- fe höher ist als der nach altem Recht fiktiv der Grundsicherung zugeordnete Betrag, ist anzunehmen, dass die Haushalte der Landkreise und der kreisfreien Städte in Baden-Württemberg durch dieses Verfahren entlastet werden.8 Denn die Ausgaben für die Grundsicherung nach 4. Kap. des SGB XII werden vom Bund erstattet, seit 2014 zu 100 %.9
3 Zur Geltendmachung durch Einrichtungen des Verbraucherschutzes, zur Verzinsung wg. § 819 BGB und zur Verjährung s. Rosenow, Roland: Rückforderungs- ansprüche von Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe?, VuR (Heft 10) 2021, 372–381.
4 „Mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX und der strikten Trennung von Fachleistungen und Lebensunterhaltsleistungen als Grundprinzip ist ein vollständiger Systemwechsel erfolgt.” BSG vom 28. Januar 2021, B 8 SO 9/19 R, Rdnr. 19; s.a. BSG vom 24. Juni 2021, B 8 SO 19/20 B.
5 Behrend, Nicola: Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, SRa 2012, 117–123.
6 Eine Ausnahme gilt für die Kosten der Unterkunft, die die Kappungsgrenze aus § 42a Abs. 5 SGB XII übersteigen. Die Trennung der Leistungen wurde insoweit
nicht vollständig vollzogen; vgl. Rosenow, Roland: Besondere Regelungen im SGB XII für sogenannte besondere Wohnformen – Teil I: Durchbrechung der
Trennung der Leistungen der Eingliederungshilfe im SGB XII, Beitrag A26-2021 unter www.reha-recht.de.
7 Zur Rechtsnatur dieser Zahlungsschuld s. BSG vom 28. Oktober 2008, B 8 SO 22/07 R – st. Rspr.; s.a. BGH vom 7. Mai 2015, III ZR 304/14; BGH vom 18. Februar
2021, III ZR 175/19; vgl. Jaritz/Eicher, in jurisPK SGB XII, 2. Aufl., § 75 Rdnr. 42 ff.
8 Zum alten Recht: Behrend, Nicola: Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, SRa 2012, 117–123; zum neuen Recht im Einzelnen: Rosenow, Roland:
Besondere Regelungen im SGB XII für sogenannte besondere Wohnformen – Teil I: Durchbrechung der Trennung der Leistungen der Eingliederungshilfe im SGB XII, Beitrag A26-2021 unter www.reha-recht.de; Besondere Regelungen im SGB XII für sogenannte besondere Wohnformen – Teil II: Folgen für WBVG-Ver- träge, Beitrag A27-2021 unter www.reha-recht.de.
9 § 46a SGB XII in den Fassungen vom 24. September 2008, 4. Dezember 2009, 29. November 2010, 24. März 2011, 6. Dezember 2011 und 20. Dezember 2012.
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