Page 26 - Nachrichtendienst NDV 12/2021
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 IM FOKUS NDV 12/2021
Roland Rosenow:
Eine Rechnung ohne das Verbraucher- schutzrecht
Zur „budgetneutralen Umstellung” der Eingliederungshilfe in Baden-Württemberg
Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes wurde in den meisten Bundesländern durch sog. „Übergangsvereinbarungen” erst einmal zurückgestellt. Dabei wurden in einigen Bundesländern Regelungen getroffen, mit denen den Leistungsberechtigten im Ergebnis ein Kostenbeitrag für die Fachleistung aus der Grundsicherungsleistung nach dem SGB XII abverlangt wird, was aber wirksam nicht möglich ist und zu Rückforderungsansprüchen der Leistungsberechtigten gegen die Leistungserbringer führt. Der folgende Beitrag unter- sucht dies anhand des Beispiels von Baden-Württemberg.
1. Einleitung
Das neue Recht der Eingliederungshilfe – Teil 2 des SGB IX i.d.F. BTHG – trat zum 1. Januar 2020 und damit drei Jahre nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt1 in Kraft. Innerhalb dieser drei Jahre geschah wenig, um die Umsetzung des neu- en Rechts vorzubereiten. Die Verzögerung durch die Länder und, nach deren Bestimmung durch Landesgesetze nach § 94 Abs. 1 SGB IX, durch die Träger der Eingliederungshilfe erzeug- te im Jahr 2019 zunehmenden Druck, unter dem die Parteien, die nach § 131 SGB IX Rahmenverträge schließen sollen, sich in vielen Bundesländern entschlossen, zunächst „Übergangs- vereinbarungen” zu schließen und die „Umsetzung” – was ja nicht weniger heißt als: die Beachtung – des neuen Rechts der Eingliederungshilfe erst einmal zu vertagen. Die Selbst- überhebung, die in diesem Vorgang liegt, ist bemerkenswert. Die Träger der Eingliederungshilfe und die Vereinigungen der Leistungserbringer waren offenbar der Auffassung, es sei ih- nen gestattet, darüber zu befinden, wann sie ein Gesetz be- achten – als sei das neue Recht der Eingliederungshilfe kein Gesetz, sondern so etwas wie ein unverbindlicher Vorschlag des Deutschen Bundestages, dessen Beachtung der Dispositi- on der Träger der Eingliederungshilfe und der Leistungserbrin-
ger unterliege. Doch das Recht der Eingliederungshilfe brach- te eine Neuerung mit sich, die vollständig zu ignorieren sich als unmöglich erwies: die Trennung der Leistungen. Die „Über- gangsvereinbarungen” dienen vor allem dazu, die Trennung der Leistungen zu bewältigen, und dabei – zumindest in Ba- den-Württemberg und einigen anderen Bundesländern – so wenig als irgend möglich zu verändern.2
In Baden-Württemberg gingen die Vereinigungen der Leis- tungserbringer und die Träger der Eingliederungshilfe beson- ders weit und vereinbarten eine „budgetneutrale Umstellung”, für die nicht nur keine Rechtsgrundlage existiert, sondern die darüber hinaus bewirken soll, dass die Leistungsberechtigten, die in Wohnformen leben, die bis 2019 als stationäre galten, erhebliche Beträge an die Leistungserbringer zahlen, zu deren
  Roland Rosenow
ist Sozialrechtsexperte. www.sozialrecht-rosenow.de
1 BGBl. I S. 3234.
2 Zu Rahmenverträgen nach § 131 SGB IX und sog. „Übergangsvereinbarungen” Beyerlein, Michael: Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den
Bundesländern – Teil II: Konkretisierung durch Landesrahmenverträge und Trennung von Fach- und existenzsichernden Leistungen, Beitrag A5-2020 unter www.reharecht.de (2. April 2020).
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