Page 12 - Nachrichtendienst NDV 12/2021
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 IM FOKUS
NDV 12/2021
jekten. Hier ein Häppchen-Buffet mit Projekt-Beispielen für die nächsten zwei Jahre:
▶ Verorten Sie schon jetzt die in § 10b SGB VIII ab 2024 vor- gesehenen Verfahrenslots/innen in der Struktur Ihres Ju- gendamtes.
▶ Dazu gehört auch: Entwickeln Sie Ihre Multitalente für die Rolle des/der Verfahrenslots/in. Sie müssen sowohl eine unabhängige Beratung von Leistungsberechtigten als auch Netzwerk- und Organisationsarbeit leisten können.
▶ Schaffen Sie gemeinsam mit Ihrem Sozialamt ein lokales Erstberatungsteam an einem Teststandort, das die Zusam- menarbeit ausprobiert und weiterentwickelt. Hilfen aus ei- ner Hand im Kleinformat.
▶ Gehen Sie mit Ihren Lieblingsträgern eine Koalition der Willigen ein: Starten Sie drei Pilotprojekte, die sozialräum- lich, inklusiv und präventiv sind. Schaffen Sie hierfür flexib- le Vergütungsmodelle.
▶ Pflegen Sie Ihre Mitarbeitenden – sie sind das Kostbars- te, was Sie haben. Führen Sie ein modernes Retention-Ma- nagement ein und entlohnen Sie Ihre Mitarbeitenden mit drei Währungen – Geld, Zeit und Sinn. Sinn bedeutet hier vor allem: erfolgreiche, wirkungsvolle, gute Arbeit.
▶ Klären Sie dort, wo es ständiges Kompetenzgerangel gibt, die Schnittstellen – schnell.
▶ Führen Sie die eAkte ein. Sie kommt sowieso.
▶ Statten Sie Ihre Sozialarbeiter/innen mit mobilen Endge-
räten aus. Versuchen Sie, in einem Pilotteam papierlos zu
arbeiten.
▶ Lassen Sie eine Webseite, oder besser noch: Seiten auf So-
zialen Netzwerken entwickeln, damit Bürger/innen mit drei Klicks Namen und Kontaktdaten der richtigen An- sprechperson finden. Und sorgen Sie dafür, dass diese er- reichbar ist.
Exkurs: Verfahrenslots/innen bauen Brücken – für Leistungsberechtigte und für die Jugendhilfe.
Wir haben es mehrfach erwähnt: Spätestens ab 2024 müssen die öffentlichen Träger der Jugendhilfe Verfahrenslots/innen einsetzen. Diese sind nach § 10b SGB VIII beauftragt, zum ei- nen den Leistungsberechtigten und ihren Familien den Weg durch den Antragsdschungel zu weisen und eine unabhängi- ge Beratung bei der Antragstellung, Durchsetzung und Um- setzung von Leistungen der Eingliederungshilfe anzubieten. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die sich ändernden Zuständigkeiten zwischen SGB VIII und IX nicht als Verschie- bebahnhof und Verzögerung auf dem Rücken der Leistungs- berechtigten ausgetragen werden. Zum anderen sollen die Verfahrenslots/innen das Jugendamt darin unterstützen, die strukturelle Zusammenarbeit mit anderen Akteur/innen, ins- besondere anderen Rehabilitationsträgern, gewinnbringend
zu gestalten und mit Blick auf die Übernahme aller Eingliede- rungsleistungen vorzubereiten.
Es ist also klar, dass die Verfahrenslots/innen nicht nur sozi- alpädagogische Beratungskompetenzen und sehr umfassen- de Kenntnisse in beiden Rechtskreisen benötigen (und diese für Leistungsberechtigte übersetzen müssen!), sondern auch hohe Kompetenzen aus den Bereichen Netzwerkarbeit, Or- ganisationsentwicklung und Moderation haben müssen. Zu- gleich unterliegen sie einem Zielkonflikt: Sie sollen Leistungs- berechtigte unabhängig beraten – und sind als Mitarbeitende des Jugendamtes doch in die Zwänge von Kostendruck und Steuerungsanspruch eingebunden.
Aus zwei Gründen sollten Jugendamtsleitungen sich schleu- nigst Gedanken machen: Erstens sind Verfahrenslots/innen per definitionem Multitalente. Sie müssen entweder aus dem bestehenden Personal rekrutiert und gezielt weiterentwickelt oder neu gewonnen werden. Zweitens braucht es eine wohl überlegte Verortung der Verfahrenslots/innen in den Struktu- ren des Jugendamts. Um eine unabhängige Beratung zu ge- währleisten, sollten sie unmittelbar unter der Jugendamts- leitung angesiedelt sein. Zugleich brauchen sie eine enge Schnittstelle mit dem Teilhabefachdienst bzw. der Organisati- onseinheit, die Eingliederungsleistungen begutachtet und be- willigt. Und sie brauchen genügend Beinfreiheit, um die Ent- wicklung des Jugendamtes zum fachkundigen und vernetzten Rehabilitationsträger begleiten zu können.
Unserer Erfahrung nach haben sich Jugendämter hier bis- her keine Gedanken gemacht, wann und wo sie die Verfah- renslots/innen einsetzen wollen. Das verwundert, könnten sie doch – im Sinne eines doppelten Brückenbauers – schon jetzt eine fundamentale Unterstützung im Entwicklungspro- zess hin zum inklusiven Jugendamt bieten (vgl. Müller-Fehling 2021, 38).
Externe Begleitung kann helfen – aber nicht immer und überall.
Wir erleben in den Jugendämtern quer durch die Repub- lik eine hohe Fachkompetenz und entsprechend ausgereifte Fachkonzepte. Auch viele Schnittstellen sind traditionell klar, beispielsweise ist die Abgrenzung zwischen Sozialarbeit und Verwaltung – anders als in Organisationseinheiten der Einglie- derungshilfe – scharf definiert und mit wenig Reibung behaf- tet. Bei Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation begegnen wir hingegen einer Hilflosigkeit angesichts der Fülle der an- stehenden Themen und der strategischen Herangehenswei- se. Hier können wir eine externe Begleitung nur empfehlen. Aber: Auch die beste Modellierung von Geschäftsprozessen und das schönste Organigramm nutzen nichts, wenn sie in der
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