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 NDV 8/2021 LESENSWERT Rezensionen Friederike Wieking: Fürsorgerin, Polizeiführerin und KZ-Leiterin In einer ausführlichen und umfang- reichen Biografie stellt Sören Groß die Fürsorgerin, Polizeiführerin und KZ-Leite- rin Friederike Wieking vor, die am 3. Au- gust 1891 in der Grafschaf Bentheim ge- boren wurde und am 21. August 1958 in Berlin verstorben ist. Herausgegeben hat das fast 400 Seiten umfassende Buch der Heimatverein der Grafschaf Bentheim e.V. als Band 227 „Das Bentheimer Land“ (ISBN 978-3-9818211-8-5). Ausgehend von bisher nicht beachteten Archivalien, der Ernennungsurkunde von Friederike Wieking zur Regierungs- und Kriminaldirektorin durch Heinrich Himmler im Jahr 1943 im national- sozialistischen Deutschland (Abb. 133 auf S. 327), und anschließender fast fünfjähriger Recherchearbeit wird das Leben und die berufliche Karriere einer Frau von der Kaiserzeit bis zur Zeit der Nationalsozialisten nachgezeichnet, die fast der Vergessenheit anheimgefallen wäre. War der Fokus der Forschung in den ver- gangenen Jahren vielfach auf die Opfer und den Widerstand (z.B. R.-C. Amthor \[Hrsg.\], Soziale Arbeit im Widerstand! Fragen, Erkenntnisse und Reflexionen zum Nationalsozialismus, 2017) des Nationalsozialismus gerichtet, rückt innerhalb der Forschung der Sozialen Arbeit in den letzten Jahren die Seite der Täter/innen in den Blick. Denn an Hand der Biografien der Täter/innen können ihre Taten, ihr Einfluss und ihre Verantwortung zur Zeit des National- sozialismus neu bewertet werden. Der Autor (Jahrgang 1990) studierte Geschichte an der Universität in Jena. Im Rahmen seiner Staatsexamens- arbeit unter dem Titel „Die Weibliche Kriminalpolizei 1927–1945 – Friede- rike Wieking und das Scheitern eines sozialen Reformprojektes“, die er bei Prof. Dr. Norbert Frei und Frau Dr. Anet- te Weinke fertigte, ist er zusammen mit Kolleg/innen der Geschichtswerkstatt Curriculum Vitae e.V. auf bisher noch nicht ausgewertete Dokumente über Friederike Wieking gestoßen, die ihn ver- anlassten, in zahlreichen Archiven im Bund, in den Ländern und im Ausland Quellenmaterial über Wieking und die weibliche Kriminalpolizei zusammen- zutragen. Das Ergebnis ist nun die vor- liegende Publikation, die die Lebens- und Wirkungsgeschichte der obersten Regierungs- und Kriminaldirektorin im Dritten Reich beleuchtet, analysiert und kritisch hinterfragt. Die Biografie gliedert sich in vier Kapi- tel – 1. Jugendjahre und Ausbildung im Kaiserreich, 2. Der Aufstieg in der Weimarer Republik, 3. Zeitenwende – Himmlers Kriminalistin, 4. Der Umbruch: Kriegsende, Gefangenschaf und letzte Lebensjahre – und zeichnet somit die verschiedenen Lebensstationen von ihr nach. Im Anhang findet sich das Personen- register sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 358–376) mit Nennung der benutzten umfangreichen Archive. Im Literaturverzeichnis wer- den „Zeitgenössische Literatur“ und „Forschungsliteratur“ aufgelistet, die Internetquellen werden separat genannt (S. 376). Mit insgesamt 141 – vielen erst- mals veröfentlichten – Abbildungen ist die Biografie überaus reich bebildert und gewährt somit auch einen sehr guten illustrativen Einblick in das Leben von Friederike Wieking sowie der weib- lichen Kriminalpolizei. Im ersten Kapitel schildert der Autor die Kindheit und Jugendzeit von Friederike Wieking. Hineingeboren in eine tradi- tionelle protestantische Lehrerfamilie, in der Fleiß, Gehorsam, Ordnung, Stren- ge und Disziplin regierten, wuchs sie zusammen mit sieben weiteren Ge- schwistern in Gildehaus in der Grafschaf Bentheim nahe der niederländischen Grenze wohlbehütet auf. Nach evangeli- scher Volksschule absolvierte sie erfolg- reich die Rektoratsschule in Bentheim. Anschließend ging sie nach Düsseldorf, wo sie im Auguste-Viktoria-Haus zur Säuglingsfürsorgerin ausgebildet wurde. Ihr weiterer beruflicher Lebensweg führ- te sie im Jahr 1911 nach Hannover, dort wurde sie am Christlich Sozialen Frauen- seminar des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes zur staatlich anerkannten Wohlfahrtspflegerin ausgebildet. Von 1912 bis 1915 war sie in der staatlichen Erziehungs- und Besserungsanstalt Hamburg-Ohlsdorf als Erzieherin für schwer erziehbare Mädchen tätig. Wäh- rend des Ersten Weltkrieges, als immer mehr Frauen zum Kriegsdienst hinter der Front eingezogen wurden, wech-    Auflage: 2020 ISBN: 978-3-9818211-8-5 Autor: Sören Groß Bestelladresse: Heimatverein der Grafschaf Bentheim, Nino-Allee 2, 48529 Nordhorn info@heimatverein-grafschaf.de 431 


































































































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