Page 20 - NDV 08/2021
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 IM FOKUS NDV 8/2021 Im Ergebnis sehen sich Kinder alleinerziehender Eltern dann in vielen Fällen mit dem absurd anmutenden Ergebnis kon- frontiert, dass man ihren Antrag auf Nachzug zu ihren Eltern ablehnt, da das Einverständnis des anderen Elternteils, dem sie zum Teil noch nie begegnet sind, nicht nachgewiesen wer- den konnte. 2. Der Fall von D. und M.6 So erging es auch den in Eritrea aufgewachsenen Kindern D. und M. Nachdem der Vater die Familie bereits kurz nach der Geburt des zweiten Kindes D. verlassen hatte, wuchsen die Kinder bei ihrer Mutter auf. Als sie vor der ihr drohenden politi- schen Verfolgung aus Eritrea flüchten musste, ließ die Mutter ihre Kinder bei der Großmutter der Kinder zurück. Schließlich gelang der Mutter von D. und M. die Flucht nach Deutschland, wo ihr der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Sogleich be- mühte sie sich um den Nachzug ihrer Kinder. Da die in Eritrea sitzende deutsche Botschaf generell keine Visaanträge be- arbeitet,7 sahen sich D. und M. gezwungen, dem Rat ihrer Mut- ter zu folgen und Eritrea zu verlassen. Die Kinder flüchteten also in den benachbarten Sudan, ein nicht ungefährliches Unterfangen, da die unerlaubte Ausreise in Eritrea straf- bewehrt ist.8 Dort angekommen kamen sie in einem Flücht- lingscamp unter, wo sie durch die sudanesische Migrations- behörde als Flüchtlinge anerkannt wurden und von wo sie fortan auf den Familiennachzug zu ihrer Mutter warteten. Die langen Wartezeiten auf einen Termin zur Antragstellung sowie die langen Bearbeitungszeiten der deutschen Botschaf im Sudan führten dazu, dass der Antrag der Kinder erst nach drei Jahren des Aufenthalts im Flüchtlingscamp beschieden wurde. Das Ergebnis: Der Antrag wird abgelehnt. Als Grund führte die deutsche Auslandsvertretung unter anderem an, dass die Kinder nicht das Einverständnis ihres Vaters hätten nachweisen können. Im daran anschließenden Klageverfahren besteht das Aus- wärtige Amt weiter auf den Nachweis des Einverständnisses des Vaters. Die eingereichte eidesstattliche Versicherung, in der die Mutter den Kontaktabbruch zum Kindsvater sowie die gescheiterten Kontaktaufnahmeversuche schildert, sei nicht ausreichend. 3. Ausweg: Die Herbeiführung einer Sor- gerechtsentscheidung Der Umstand, dass der Nachweis des Einverständnisses des/ der anderen Sorgeberechtigten bisweilen unmöglich sein kann, wurde durchaus im Rahmen des Gesetzgebungs- prozesses antizipiert. Die einschlägige Regelung des §32 Abs. 3 AufenthG sieht daher vor, dass Familien anstelle eines solchen Nachweises eine rechtsverbindliche Entscheidung einer zuständigen Stelle vorlegen können. Die Frage ist nur: Wer ist zuständig für Sachverhalte wie den von D. und M.? 3.1 Fragen der Zuständigkeit Bei der Frage, wer für internationale Sachverhalte, wie jenem von D. und M. zuständig ist, gebietet sich stets zunächst die Prüfung, ob gegebenenfalls internationale Abkommen, ins- besondere das Kinderschutzübereinkommen (KSÜ), ein- schlägig sind. Handelt es sich bei den Staaten, in denen sich geflüchtete Kinder aufhalten, um Vertragsstaaten des KSÜ, kann sich insoweit insbesondere aus Art. 6 i.V.m. Art. 5 KSÜ9 eine Zuständigkeit des Aufenthaltsstaates des Kindes ergeben. Große Aufnahmeländer von Geflüchteten, wie etwa der Sudan, Äthiopien oder der Libanon, gehören indes weder zu den Ver- tragsstaaten des KSÜ noch sind sie diesem beigetreten. In- folgedessen ist in jenen Fällen weiter unklar, in welchem Staat die Betrofenen efektiv eine gerichtliche Entscheidung zur Sorgerechtsfrage herbeiführen können. In vielen Aufenthalts- staaten geflüchteter Kinder besteht gerade kein (efektiver) Zu- gang zu den nationalen Gerichten, und nach dem dort gelten- den Recht besteht mitunter keine Zuständigkeit für jene Sach- verhalte.10 6 Der Fall liegt dem Beschluss des AG Hamburg (vgl. Fußn. 2) zugrunde. Die Verfasserin hat die Familie während des Sorgerechtsverfahrens rechtlich beraten und hat dabei von der Unterstützung durch RAin Lucy Chebout profitiert, der an dieser Stelle nochmals herzlicher Dank ausgesprochen sei. 7 Als rsatz ist ofiziell die deutsche Auslandsvertretung in Nairobi (Kenia) benannt. Viele Familien flüchten indes in die mitunter näher gelegenen Staaten Sudan oder Äthiopien. 8 Vgl. ASO COI, ritrea: National service, exit, and return, September 2019, S. 52 f. 9 Art. 6 i.V.m. Art. 5 KSÜ bezieht sich explizit auf geflüchtete Kinder und weist den Aufenthaltsstaaten die Zuständigkeit zur Beurteilung von diese Kinder betrefenden Sachverhalten zu. 10 In dem dem Beschluss (vgl. Fußn. 2) zugrundeliegenden Fall hatte die Verfasserin eine Auskunf des vor Ort tätigen UNHCR eingeholt, aus der sich ergab, dass die sudanesischen Gerichte aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Zuständigkeit ablehnen würden, da es hierzu nach sudanesischem Recht darauf ankäme, in welchem Land die Kinder zuletzt Kontakt zu ihrem Vater hatten. Im Fall von D. und M. hatte der letzte Kontakt zum Vater in ritrea stattgefunden. 404 


































































































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