Page 17 - NDV 08/2021
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 NDV 8/2021 IM FOKUS  Eigentlich war Franziska eine sehr gute Schülerin, doch durch die Diabeteserkrankung ist ihre Motivation für die Schule rapi- de gesunken und sie schaf angesichts dieser suboptimalen Rahmenbedingungen und des Fehlens einer Schulgesund- heitsfachkraf schließlich nur den Mittleren Schulabschluss (MSA). Zwischen ihrem elfen und 18. Lebensjahr summieren sich die ambulanten und stationären Behandlungskosten auf insgesamt 46.748 €. Sie beginnt nach dem MSA eine Berufs- ausbildung zur Optikerin. Diese Arbeit gefällt ihr anfänglich und sie schließt die Ausbildung trotz ihrer chronischen Er- krankung mit guten Ergebnissen ab. Ihr Freund, den sie im zweiten Ausbildungsjahr kennengelernt hat, ist ihr dabei eine große Stütze. Ab ihrem 20. Lebensjahr arbeitet Franziska als Optikerin im Einzelhandel vollzeitnah. Da die Wegezeiten zwischen Wohn- und Arbeitsort nur zehn Minuten betragen, kann sie eine 32-Stundenwoche übernehmen und bezieht ein Bruttoein- kommen von 1.850€. Monatlich generiert sie eine Wert- schöpfung durch Sozialabgaben und Steuern in Höhe von 521 €, das sind jährlich 6.252 €. Als sie mit 35 Jahren ihr erstes Kind erwartet, gibt sie ihre Berufstätigkeit auf. Bis zu diesem Zeitpunkt (15 Jahre) hat sie eine Wertschöpfung von 93.780 € erzielt. Insgesamt fühlte sie sich in ihrem Beruf unterfordert und bedauert mehr und mehr, dass sie ihr ursprüngliches Berufsziel, Ärztin zu werden, aufgegeben hat. Ihre persönliche Unzufriedenheit tritt zwar in den ersten Monaten nach der Ge- burt ihres Kindes etwas in den Hintergrund. Sie fühlt sich aber in der Rolle der Ehefrau und Mutter zunehmend finanziell ab- hängig und sozial isoliert, was sich belastend auf ihre Ehe aus- wirkt. Es gibt öfer Konflikte und verbale Auseinander- setzungen. Es gelingt ihr nicht, sich entsprechende professio- nelle Unterstützung zu organisieren – weder für ihre psychische Erschöpfung noch für die ehelichen Probleme. Als Franziska A. 47 Jahre alt ist, trennt sich der Kindesvater von ihr. Sie findet nicht mehr ins Erwerbsleben zurück und ist fort- an auf staatliche Transferleistungen angewiesen, die sich bis zum 67. Lebensjahr auf 210.432 € aufsummieren (Regelsatz, Wohnen und Heizung). Zuzüglich der Gesundheitskosten zwi- schen ihrem elfen und 18. Lebensjahr entstehen Gesamt- kosten in Höhe von 257.180 €. Abzüglich ihrer Wertschöpfung vor der Geburt ihres Kindes in Höhe von 93.780 € verbleiben Kosten für staatliche Transferleistungen von 163.400€. Im Rentenalter kommen weitere Kosten (z.B. Grundsicherung im Alter, Wohngeld, Gesundheitskosten) hinzu. Die Kosten-Nut- zen-Relation dieses Fallbeispiels wird in Abbildung 2 grafisch dargestellt. Abb. 2: Kosten-Nutzen-Relation Schülerin Franziska A. Szenario ohne SGFK (lebenslaufbezogen) 7. Szenario ohne Schulgesundheitsfach- kraf (familiensystemische Perspektive) In familiensystemischer Perspektive führt Franziskas chroni- sche Erkrankung aufgrund des damit einhergehenden er- höhten Betreuungsbedarfs dazu, dass sich Mutter A. für neun Jahre beurlauben lässt. Aufgrund des Fehlens einer fachlich versierten SGFK in der Schule und der teils erheblichen räum- lichen Distanzen zum medizinischen Versorgungssystem, das häufig aufgesucht werden muss, trefen Frau A. und ihr Mann diese Entscheidung. Dadurch verzichtet Frau A. auf ihr monat- liches Nettoeinkommen von 2.834 € (monatlicher Bruttolohn: 4.560 €). Im Zeitraum zwischen dem elfen Lebensjahr ihrer Tochter, als diese an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt, bis zum Abschluss ihrer Berufsausbildung im 20. Lebensjahr entsteht für die Mutter ein Wertschöpfungsverlust in Höhe von -186.408 €. Im Szenario ohne SGFK wird folglich in familiensystemischer Perspektive insgesamt ein Wertschöpfungsverlust von 443.588 € generiert (Mutter A.: -186.408 €, Gesundheits- und Transferkosten Tochter A.: -257.180 €). Diese Kosten werden durch die Wertschöpfung von Tochter A. bis zur Geburt ihres Kindes um 93.780€ gemindert. Es verbleiben Kosten bzw. Wertschöpfungsverluste von insgesamt -349.808 €. 8. Fazit Der Kosten-Nutzen-Vergleich (siehe Tabelle 1) zeigt, dass es sich im Szenario mit einer SGFK um eine vorausschauende infrastrukturelle Investition handelt, die im weiteren Lebens- verlauf von Franziska A. einen hohen individuellen, aber auch volkswirtschaflichen Nutzen generiert. Demgegenüber fallen im Szenario ohne SGFK in der verbleibenden Schulzeit deut- lich höhere ambulante und stationäre Behandlungskosten an. Im weiteren Lebensverlauf kommen neben einer geringeren Wertschöpfung infolge der Reduzierung des schulischen Bildungsniveaus auf den MSA erhebliche staatliche Transfer- leistungen (nach Scheidung) und Gesundheitskosten hinzu, 401 


































































































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