Page 16 - NDV 08/2021
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 IM FOKUS NDV 8/2021  Abb. 1: Kosten-Nutzen-Relation Schülerin Franziska A. Szenario mit SGFK (lebenslaufbezogen) 5. Szenario mit Schulgesundheitsfach- kraf (familiensystemische Perspektive) Im Szenario mit einer SGFK gelingt es zudem, dass nach Ein- treten der Diabetes mellitus Typ 1-Erkrankung bei Franziska A. deren Mutter – trotz des damit einhergehenden erhöhten Be- treuungsbedarfs – weiter als Richterin im Amtsgericht mit einer 35-Stunden-Woche erwerbstätig bleiben kann. Außer- dem profitiert sie von den durch die Bundesregierung seit dem 1. Januar 2022 eingeführten Zuschüssen für Gutscheine zur Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen (HDL). Sie wird dadurch pro Woche für zwei Stunden durch eine hauswirtschafliche Dienstleistungsfachkraf entlastet. Das Dienstleistungsunternehmen übernimmt auch die Ab- rechnungsmodalitäten und garantiert eine Vertretung im Urlaubs- und Krankheitsfall der Dienstleisterin, sodass sie ihre Arbeitszeit nicht reduzieren muss. Mutter A. bezieht einen monatlichen Bruttolohn von 4.560 €, was bei Steuerklasse 4 zu monatlichen Abgaben in Höhe von 1.726 € führt. Pro Jahr ergibt sich somit ein Wertschöpfungs- potenzial von 20.712€. Im Zeitraum zwischen dem elfen Lebensjahr ihrer Tochter, als diese an Diabetes mellitus Typ I erkrankt, und dem Abschluss ihres Abiturs im 18. Lebensjahr (sieben Jahre) erzielt Mutter A. eine Wertschöpfung von 144.984 €. Die Gesamtwertschöpfung von Tochter A. und ihrer Mutter beläuf sich auf 1.198.132 €. Abzüglich der zusätzlichen, aber geringen Investition in sub- ventionierte Gutscheine (acht Stunden pro Monat a 12 € = 96 € x 12 Monate = 1.152 € x 7 Jahre = 8.064 €) belaufen sich die zu- sätzlichen Kosten auf insgesamt lediglich 8.064 €. Somit wird der generierte Nettoertrag in familiensystemischer Perspekti- ve nur unwesentlich geringer, er liegt bei 1.159.814 €. Für das Alltagsarrangement zwischen Beruf und Familie mit einem chronisch kranken Kind kann diese Form der Entlastung aber die Entscheidung darüber, ob die elterliche Betreuungsperson ihre Berufstätigkeit fortsetzt, einschränkt oder gänzlich auf- gibt, maßgeblich beeinflussen. 6. Szenario ohne Schulgesundheitsfach- kraf (lebenslaufbezogen) Schülerin Franziska A., akademisches Herkunfsmilieu, späterer Beruf: Optikerin, nach Scheidung Sozialhilfeempfängerin, ein Kind Franziska A. erhält die Diagnose ihrer Diabetes mellitus Typ I- Erkrankung mit elf Jahren. Es erfolgt die stationäre Aufnahme der Schülerin zur Einstellung des Blutzuckers mit Insulin-Pen sowie eine erste Schulung dort. Sie hat zirka alle fünf Wochen (achtmal jährlich) einen Arzttermin bei ihrem Diabetologen zur Kontrolle ihres Blutzuckers. Zu Hause kommt es zu einer Blutzucker-Entgleisung. Franziska muss nochmals stationär eingestellt werden. An ihrer Schule gibt es keine SGFK. Die El- tern führen ein Gespräch mit der Klassenlehrerin und infor- mieren sie darüber, was bei einer Unterzuckerung notfall- mäßig zu tun ist. Sie machen sich während der Schulzeit ihres Kindes große Sorgen, ob alles gut geht. Die Blutzucker-Werte ihrer Tochter lassen sie sich von ihr per SMS schicken. Die stän- dige Thematisierung ihrer Erkrankung, insbesondere durch die Mutter, führt zu einem Verlust an Selbstbewusstsein bei der Elfjährigen, die eigentlich ihr Abitur und danach ein Medizinstudium angestrebt hat, und sie beginnt, sich zurück- zuziehen. Ihre Klassenlehrerin versucht zwar in einem Ge- spräch mit den Eltern, beruhigend auf diese einzuwirken, was aber nicht gut gelingt. Zudem gibt es an der Schule keine fach- lich versierten Ansprechpartner/innen, um angemessen mit dieser Krankheit und den übervorsichtigen Eltern umzugehen. Dadurch verliert Franziska A. mehr und mehr den Kontakt zu ihren Mitschüler/innen. An Schulausflügen nimmt sie nicht teil. Hinzu kommt, dass sie von ihrer Mutter bei geringsten Un- pässlichkeiten ein Entschuldigungsschreiben für die Schule erhält, so dass sich viele Fehltage aufsummieren und sie den versäumten Unterrichtsstof nicht mehr ohne Weiteres nach- holen kann. Neben schulischen Schwierigkeiten gibt es immer wieder Blutzucker-Entgleisungen, da Diätfehler unterlaufen oder Blutzucker-Krisen durch Infekte verursacht werden – pro Jahr führt das zu einem stationären Aufenthalt von rund fünf Tagen. Der behandelnde Diabetologe empfiehlt alle zwei Jahre eine Schulung zur Anpassung der Insulineinstellung. Diese wird ganztägig im Krankenhaus bzw. in der Tagesklinik durch- geführt, was die Anwesenheit der Mutter erfordert. 400 


































































































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