Page 45 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 NDV 4/2022
AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
fen, unter welchen Voraussetzungen die Organisationen ihre Dienstleistungen erbringen. Das wiederum sollte identifizie- ren, wo Förderung und Unterstützung der Organisationen für eine Verbesserung ihrer Arbeit ansetzen können. Halm zeig- te auf, dass in den Folgejahren der Bedarf erkennbar gewor- den sei, entsprechende Daten auch für säkulare MO zu erhe- ben. Das sei mit der Studie „Wohlfahrtspflegerische Leistun- gen von säkularen Migrantenorganisationen in Deutschland, unter Berücksichtigung der Leistungen für Geflüchtete“ (Halm et al. 2021) umgesetzt worden. Sie arbeitet auf: Welche Leis- tungen erbringen säkulare MO? Unter welchen Bedingungen erbringen sie sie? Wie sind die personellen und finanziellen Ressourcen? Wie steht es um ihre Einbindung in Infrastruktur und Kooperation mit mehrheitsgesellschaftlichen Koopera- tionen und Institutionen? Für die Ergebnisse sei hier auf die Studie und eine online abrufbare Kurzfassung (Halm/Nowicka 2021) verwiesen.
2.2.4 Erfahrungen und Herausforderungen – erster Tag
Fasst man die Referate und Diskussionsbeiträge der Teilneh- menden des ersten Tages zusammen, ergeben sich folgende Eindrücke:
▶ Für MO und muslimische Organisationen wird vielfach be- richtet, dass sie ihre Zielgruppen besonders gut erreichen.
▶ Moscheegemeinden sind nicht nur religiöse, sondern auch soziale und kulturelle Anlaufstellen, die soziale Dienstleis- tungen anbieten. Allerdings sehen sie sich in den Struktu- ren des Wohlfahrtssystems nicht ausreichend repräsen- tiert.
▶ Damit zusammenhängend wird oft festgestellt, dass mus- limisches Engagement nicht ausreichend sichtbar sei oder nicht ausreichend wahrgenommen werde.
▶ Viele muslimische Organisationen weisen darauf hin, dass ihnen oft mangelnde Kooperationsbereitschaft begegne
– von Kommunen oder Verbänden der Freien Wohlfahrts- pflege, aber auch untereinander.
▶ Auch kritisieren muslimische Organisationen, ihnen wer- de oft mit mangelnder Akzeptanz, Skepsis oder Vorbehal- ten begegnet.
▶ Oft wird die „Kooperation auf Augenhöhe“ allseits als ge- meinsames Ziel benannt. Verschiedene Beiträge wiesen aber darauf hin, dass sie angesichts unterschiedlich ver- teilter finanzieller und personeller Ressourcen schwer zu erreichen sei. Muslimische Gemeinden und MO müssten stärker an finanziellen Mitteln beteiligt werden.
▶ Gleiches gelte für den Anspruch, stärker in die fachliche Mitgestaltung eingebunden zu werden. Eng damit zusam- men hängt die Forderung, das Wissen muslimischer und migrantischer Organisationen stärker anzuerkennen. Zu- dem dürften ihre Angebote nicht nur in der Integrationspo- litik verortet werden, sondern müssten in den fachpoliti- schen Ressorts ernst genommen werden.
▶ MO und muslimische Organisationen ringen mit Instabili- täten:
― Viel Engagement ruhe auf den Schultern des Ehrenamts – das führe zu häufigen Wechseln und Verlust von Wis- sen. Gleiches gelte für hauptamtliches Personal, weil dessen Finanzierung meist projektbezogen sei.
― Manche Vereine, etwa in der Arbeit mit Geflüchteten, hätten existenzielle Bedürfnisse zu sichern, sodass Pro- fessionalisierung auf der Strecke bleibe.
― Wie in vielen Feldern der Sozialen Arbeit, habe die Coro- na-Pandemie zu existenziellen Problemen geführt – bei muslimischen Gemeinden etwa durch den Wegfall der Spenden zum Freitagsgebet.
▶ Trotz Kritik und Herausforderungen: In vielen Beiträgen wurden deutliche Fortschritte bei Vernetzung, Zusammen- arbeit, Qualifizierung und Organisationsentwicklung be- tont. Vielerorts seien muslimische Träger und MO wichtiger Bestandteil Teil der Strukturen.
▶ Immer wieder wurde betont, dass Vertrauen ein Schlüssel- thema sei. Und dass es erst durch Dialog, Kennenlernen und Vernetzung entstehe – und vor allem durch konkrete fachliche Zusammenarbeit wachse. Das sei an vielen Stel- len bereits gelungen.
▶ Die fachliche Zusammenarbeit an gemeinsamen, konkre- ten Vorhaben der Sozialen Arbeit habe oft dazu geführt, dass innermuslimisch kontroverse religiöse Fragen in den Hintergrund getreten seien.
▶ Auch bei Qualifizierung und Organisationsentwicklung muslimischer Gemeinden und Verbänden sahen viele Bei- träge Fortschritte. Zugleich wurde betont, dass Gemein- den sehr unterschiedlich seien – Qualifizierungsangebo- te und Professionalisierungsstrategien müssten individuell und passgenau sein.
▶ Als gemeinsame Herausforderung für muslimische Ge- meinden wird oft benannt, dass sie auf dem Weg zu pro- fessionellen Wohlfahrtsangeboten strukturell stärker zwi- schen religiösen und sozialen Dienstleistungen trennen müssten.
▶ Als Gegenüber zur Qualifizierung und Professionalisierung muslimischer Gemeinden und MO betonten viele Teil- nehmende, dass die interkulturelle Öffnung von Kommu- nen und Freier Wohlfahrtspflege weiter ausgebaut werden müsse.
3. Praxiserfahrungen und Handlungsfel-
der
3.1 Strukturen öffnen – Migrantenorganisationen aktiv einbinden
Zur am Vortag erhobenen Forderung nach interkultureller Öff- nung zeigten Harald Löhlein, Der Paritätische Gesamtverband,
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