Page 41 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 NDV 4/2022
AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
 recht und ordnet die Rückgabe des Kindes an ihn an. Das französische Gericht erteilt auf Pierres Antrag die Beschei- nigung nach Anhang IV.
 Es handelt sich um eine privilegierte Entscheidung im Rückklappmechanismus. Diese ist in Deutschland zu voll- strecken, wo Chantal sich weiterhin befindet. Es gelten Art. 42 ff. Brüssel IIb-VO. Nach § 44 Abs. 3 IntFamRVG hat das Amtsgericht Dresden, das zuvor die Rückführung des Kin- des nach dem HKÜ abgelehnt hat, die französische Rückga- beentscheidung von Amts wegen zu vollstrecken.
4. Sonderregelungen betreffend Anerken- nung und Vollstreckung von Rückgabe- entscheidungen
Auch für die Anerkennung und Vollstreckung von Rückgabe- entscheidungen nach dem HKÜ gelten innerhalb der EU (au- ßer Dänemark) Sonderregelungen. Gerade die in der Praxis oft sehr problematische Vollstreckung von Rückgabeentschei- dungen nach dem HKÜ unter Geltung der Brüssel IIa-Verord- nung ist häufiger mit zeitlichen Verzögerungen verbunden, die diese zumeist verkomplizieren und das Kind und die gesam- te Familie nur verstärkt belasten. Auch insoweit will die Brüs- sel IIb-Verordnung durch ihre neuen Regelungen Verbesserun- gen herbeiführen.
4.1 Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit
Anders als sorgerechtliche Entscheidungen sind Rückfüh- rungsentscheidungen nicht sofort wirksam. Im Sinne eines zü- gigen kindeswohlorientierten Rückgabeverfahrens regelt die Brüssel IIb-Verordnung nun für alle Mitgliedstaaten bindend, dass eine Rückgabeentscheidung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann, auch wenn ein Rechtsbehelf eingelegt wurde (Art. 27 Abs. 6 Brüssel IIb-VO). Dies erfolgt in Deutsch- land – und dies auch schon unter Geltung der Brüssel IIa-Ver- ordnung – dergestalt, dass das Oberlandesgericht nach § 40 Abs. 3 IntFamRVG nach Eingang der Beschwerdeschrift unver- züglich prüft, ob es die sofortige Wirksamkeit der angefoch- tenen erstinstanzlichen Entscheidung über die Rückgabe an- ordnet.
4.2 Vollstreckung
Die Brüssel IIb-Verordnung enthält erstmals Regelungen be- treffend die Vollstreckung. Diese soll mit gebotener Eile gestal- tet werden und grundsätzlich innerhalb von sechs Wochen er- folgen (Art. 28 Brüssel IIb-VO).
4.3 Grenzüberschreitende Wirkung von Rückgabe- entscheidungen nach dem HKÜ
Der EU-Gesetzgeber hat auch die Fallkonstellation der so- genannten „Weiterflucht“ in den Blick genommen, da es im- mer wieder Fälle gibt, in denen ein Kind nach der Entschei- dung über die Rückführung in einen dritten EU-Mitgliedstaat weiter entführt wird, um die Durchsetzung der Rückführungs- verpflichtung zu verhindern. Unter Geltung der Brüssel IIa-Ver- ordnung ist in diesem Fall in dem Staat, in dem sich das Kind nun aktuell aufhält, ein neues Rückführungsverfahren nach dem HKÜ zu führen, was zeitliche Verzögerungen bedingt. Im Fall der Geltung der Brüssel IIb-VO können Rückgabeent- scheidungen eines HKÜ-Gerichts nun erstmalig auch in an- deren EU-Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden (Art. 2 Abs. 1 Buchstabe a Brüssel IIb-VO). Ein neues Verfahren braucht damit dort nicht mehr geführt zu werden, sodass Kin- der viel schneller zurückgeführt werden können. Bestenfalls hält dies auch präventiv von Weiterentführungen ab.
 Das Gericht in Dresden ordnet rechtskräftig die Rückfüh- rung von Chantal nach Frankreich an. Um der Vollstreckung des Kindes zu entgehen, verbringt Mila Chantal zu ihren Verwandten in die Tschechische Republik.
 Es handelt sich um eine Weiterentführung im EU-Raum (außer Dänemark). Die deutsche Entscheidung kann in der Tschechischen Republik vollstreckt werden. Pierre muss dort kein neues Rückführungsverfahren nach dem HKÜ führen.
5. Resümee
Durch die Neuregelungen der Brüssel IIb-VO rücken die an diese gebundenen EU-Mitgliedstaaten im Bereich der inter- nationalen Kindesentführungen noch enger zusammen, als es unter Geltung der Brüssel IIa-Verordnung bereits der Fall war. Verschiedene Maßnahmen sollen dazu führen, dass die Rückführungsverfahren nach dem HKÜ in allen Phasen zeit- lich straffer geführt werden. Auch wird der Schutz des Kindes im Verfahren erweitert, wobei das HKÜ-Gericht insoweit neue eigene Handlungsmöglichkeiten erhält. Als Ergebnis ist zu er- warten, dass weniger Anträge auf Rückführungen abgelehnt werden.
Rückführungsentscheidungen und Schutzmaßnahmen durch das HKÜ-Gericht erhalten innereuropäisch grenzüberschrei- tende Wirkung. Es ist zu hoffen, dass sich dies präventiv aus- wirkt und von Kindesentführungen abhält. Im Fall der Entfüh- rung sorgen die Neuregelungen dafür, dass das Verfahren und auch die Rückkehr des Kindes sich im Sinne des Kindeswohls schneller und effektiver gestalten lassen.
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