Page 20 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 IM FOKUS
NDV 4/2022
9/2021). Gegenstand der Anregung war dabei die Verwendung des Begriffs in gesetzlichen Regelungen, auf die sich der Bei- trag bezieht, um den Inhalt dieser Gesetze zu erläutern und die Rechtslage zu klären – das übliche juristische Geschäft also. Dabei beschränkt sich der Beitrag hinsichtlich der Ver- wendung des Begriffs „Rasse“ darauf, die in den einzelnen Ge- setzen vorfindlichen Formulierungen aufzuzeigen, ohne ihnen etwas hinzuzufügen: Es wird nur auf die gesetzlichen Regelun- gen und deren Inhalt hingewiesen.
In diesem Rahmen lässt sich die Anregung der NDV-Schriftlei- tung als eine Facette der genannten Diskussion darüber ver- stehen, wie mit dem Begriff „Rasse“ in Gesetzestexten und ju- ristischen Beiträgen darüber umzugehen ist. In einem Aus- tausch über diese Anregung hat die Schriftleitung den Wunsch des Verfassers respektiert, den Begriff in dem Beitrag zu belas- sen, ohne auf alternative Formulierungen auszuweichen. Er- gänzend wurde vereinbart, die Begründung des Verfassers für die Verwendung des Begriffs als Ausgangspunkt einer mög- lichen weiteren Diskussion dieser Frage im NDV zu nehmen. Die Begründung wird also mit Blick auf die Möglichkeit abge- druckt, sie könnte eine Erwiderung darauf hervorrufen und so eine weiterführende Diskussion initiieren. Wäre nicht der NDV ein geeignetes Forum einer solchen Diskussion?
Nachfolgend werden darum die Gründe für den genannten Wunsch ausgeführt. Diese Gründe verstehen sich als ein ers- ter Zugriff auf die Problematik ohne jeden Anspruch auf Voll- ständigkeit und Richtigkeit – eben als ein erster (Eröffnungs-) Beitrag für die mögliche Diskussion. Dabei wird auf einen wis- senschaftlichen Beleg-Apparat verzichtet, um die persönliche Haltung des Verfassers und seine persönliche inhaltliche Ver- antwortung dafür zu unterstreichen.
1) Als gemeinsame Intention sowohl der Stimmen, die eine Streichung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz befürwor- ten, als auch des Gesetzgebers, der den Begriff im Grund- gesetz und einfach-gesetzlichen Regelungen verwendet, darf man wohl das Ziel benennen, gegen Rassismus in je- der Form vorzugehen. In dieser Intention erheben die Be- fürworter ihre Forderung, den Begriff „Rasse“ im Grund- gesetz zu streichen und durch andere Formulierungen zu ersetzen. Und in der gleichen Intention versucht der Ge- setzgeber, seine Verantwortung dafür wahrzunehmen, im gesellschaftlichen Leben unter anderem rassistisches Ver- halten zu unterbinden.
2) In Wahrnehmung dieser Verantwortung hat sich der Ge- setzgeber entschlossen, den Begriff „Rasse“ in Gesetzestex- te aufzunehmen, die auf das Verbot „rassi(sti)sch“ begrün- deter Diskriminierungen ausgerichtet sind. Dementspre- chend steht der Begriff „Rasse“ nicht nur im deutschen Grundgesetz (vgl. Art. 3 Abs. 3 GG), sondern z.B. auch in der
UN-Kinderrechtskonvention (vgl. Art. 2 UN-Kinderrechts- konvention – deutsche Fassung). Ferner findet er sich im AGG (vgl. §§ 1, 7, 19 AGG) sowie in neueren bundes- und landesrechtlichen Sozialgesetzen, auf deren Grundlage „rassi(sti)sch“ begründete Diskriminierungen unterbunden werden sollen (vgl. § 33c SGB I; § 7 Kinderbildungsgesetz NRW). Angesichts dessen kann man sagen, dass der Begriff „Rasse“ bislang in vielen Regelungen des nationalen und in- ternationalen Rechts Verwendung findet, die „rassi(sti)sch“ begründete Diskriminierungen unterbinden wollen.
3) Dabei ist der Gesetzgeber nicht blind für die Tatsache, dass der Begriff der „Rasse“ einer wissenschaftlichen Überprü- fung nicht standhält und darum das damit verbundene Konzept zu Recht gesellschaftlich zu ächten ist. Nach wis- senschaftlichen Erkenntnissen gibt es eben insbesonde- re genetisch-biologisch keinen Zusammenhang, der die Verwendung der Kategorie „Rasse“ in Bezug auf Menschen rechtfertigen würde: Im wissenschaftlichen Sinn existie- ren bei Menschen keine „Rassen“. Der Begriff „Rasse“ ist darum als das Ergebnis eines rassistischen Verblendungs- zusammenhangs zu werten – das haben nicht zuletzt die Autoren der Jenaer Erklärung sowie Johannes Krause im eingangs erwähnten RND-Interview nachdrücklich aufge- zeigt. Um diese Erkenntnis sprachlich zum Ausdruck zu bringen, verwenden die neueren Gesetze nicht das Verbot einer Benachteiligung „wegen seiner Rasse“, wie das ins- besondere noch im Grundgesetz im Zusammenhang mit anderen Diskriminierungsverboten geschieht, die mit der ähnlichen Formulierung „wegen seiner Heimat und Her- kunft“ oder „wegen seiner Behinderung“ etc. benannt wer- den. Vielmehr lautet die fragliche Formulierung in neuerer Zeit stets „aus Gründen der Rasse“. Damit bringen die Ge- setze zum Ausdruck, dass es einerseits bei Menschen kei- ne „Rassen“ gibt, andererseits aber sehr wohl Benachtei- ligungen, die „aus Gründen der Rasse“ begangen werden. Mit der genannten Formulierung versucht der Gesetzgeber also zweierlei: Zum einen soll jedem „rassi(sti)schen Den- ken“ eine Absage erteilt werden; zum anderen sollen Be- nachteiligungen verboten werden, die mit „rassi(sti)schen“ Vorurteilen begründet, eben „aus Gründen der Rasse“ be- gangen werden.
4) Bedenkt man vor diesem Hintergrund die Forderungen nach einer Streichung des Begriffs „Rasse“ im Grundge- setz, so wird wohl Konsens sein, dass es sich nicht um eine ersatzlose Streichung handeln kann, ohne dass der gestri- chene durch einen anderen, gleich leistungsfähigen Begriff oder eine entsprechende Formulierung ersetzt wird.
a) Das ist zunächst die Konsequenz der rechtspraktischen Erfahrung, dass man ein Verhalten nur dann rechtlich steuern (in diesem Fall: unterbinden) kann, wenn man es gesetzlich möglichst präzise benennt. Zum Erreichen
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