Page 21 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 NDV 4/2022
IM FOKUS
des Ziels, Diskriminierungen aus „Gründen der Rasse“ oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verbieten, fin- den darum die entsprechenden Begriffe im jeweiligen Gesetzestext Verwendung.
b) Dabei ist diese Notwendigkeit nicht nur als Folge der rechtspraktischen Logik zu verstehen, sie ergibt sich viel- mehr auch aus den verfassungsrechtlichen Erfordernis- sen einer Gesetzgebung, die rechtsstaatlichen Anfor- derungen genügen muss. Das Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 und 28 GG) verlangt nämlich unter anderem, dass Gesetze inhaltlich so eindeutig und klar gestaltet sind, dass in der Gesetzesanwendung zumindest durch Aus- legung ermittelt werden kann, was das Gesetz im Ein- zelnen unter welchen Voraussetzungen wie regelt. Ein Gesetz, das aus Gründen des Diskriminierungsschutzes „rassi(sti)sches“ Verhalten unterbinden will, ohne genü- gend eindeutig zu benennen, was genau denn unter- bunden werden soll, lässt die Gesetzesanwendung zu einem Blindflug in die Unklarheit oder Willkür werden. Eine Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen und in- dividuellen Verhaltens wäre dann unmöglich. Eine sol- che Regelung wird darum in der Gefahr stehen, wegen seiner mangelnden Klarheit das Rechtsstaatsprinzips zu verletzen und darum für verfassungswidrig erklärt zu werden.
5) Damit bewegt sich die Diskussion auf die Frage zu, ob denn mit den oben genannten Worten „aus Gründen der Ras- se“ schon eine Formulierung gefunden ist, die das Anlie- gen eines (grund-)gesetzlichen Schutzes vor „rassi(sti)sch“ begründeter Diskriminierung angemessen zum Ausdruck bringt, oder ob nach Alternativen zu suchen ist, die einen sprachlichen Diskriminierungsschutz (noch) besser ge- währleisten.
a) Insoweit erweisen sich Überlegungen als unterkomplex, den Begriff der „Rasse“ durch Bezeichnungen wie etwa die „Haut- oder Haarfarbe“, die „phänotypische Erschei- nung“ oder die „ethnische Herkunft“ zu ersetzen, die mit dem Begriff „Rasse“ assoziiert werden könnten. Denn in Bezug auf „rassi(sti)sche“ Diskriminierungen liefern wohl nur Worte und Formulierungen aus dem Begriffs- feld „Rasse“ den gewünschten präzisen Identifikations- punkt des Verhaltens, das verboten werden soll. Ande- re Begriffe leisten das nicht. Entweder sind sie zu we- nig komplex wie etwa die „Haut- oder Haarfarbe“ sowie die „phänotypische Erscheinung“. Diese Begriffe können nicht ansatzweise das rassistisch-diskriminierende Zer- störungspotenzial entfalten, das dem Begriff der „Rasse“ innewohnt, der nicht umsonst eine zentrale Funktion im Arsenal der NS-Instrumente für die rassistische Verfol- gung und Vernichtung „rassisch minderwertiger“ Men-
b)
schen einnahm. Oder die Begriffe beziehen sich auf ei- nen anderen Zusammenhang wie etwa die „ethnische Herkunft“, die darum neben der „Rasse“ in den (neu- eren) Gesetzen zum Diskriminierungsschutz benannt wird.
Ebenso wenig überzeugen kann die Vorstellung, in Ge- setzestexten sprachliche Konstrukte zu verwenden, mit denen vermieden werden kann, einen verpönten Be- griff zu benutzen; in Anlehnung an das heute schon ge- bräuchliche „N-Wort“ wäre das dann in Bezug auf den Begriff „Rasse“ mutmaßlich das „R-Wort“. Ginge man diesen Weg, würden sich zunächst womöglich ästheti- sche Zweifel an seiner Tauglichkeit melden. Je häufiger die „N“-, „R“- und sonstigen „Umgehungs-Worte“ ver- wendet werden, umso eher wird man mit einem Über- druss an ihnen rechnen müssen – oder womöglich so- gar mit ihrer Wahrnehmung als eine Art Realsatire, in der aus Gründen politischer Korrektheit sprachliche Um- wege zu wählen sind, weil der direkte Weg verpönt ist. Nun mag man das aus Gründen eines wirksamen Diskri- minierungsschutzes für zumutbar halten. In jedem Fall wird man aber bei diesen Konstrukten stets den verpön- ten „Original-Begriff“ mitdenken müssen, um zu wis- sen, wovon bei den einzelnen Konstrukten die Rede ist. Es wird also bei Verwendung dieser Konstrukte womög- lich eine Art virtuelles Glossar erforderlich sein, das im Zweifel Auskunft darüber gibt, welchen verpönten Be- griff das einzelne Konstrukt zum Ausdruck bringt. Ob un- ter diesen Umständen der Diskriminierungsschutz sig- nifikant erhöht würde, wenn doch der diskriminierende „Original-Begriff“ in der angedeuteten Weise stets prä- sent bliebe? Das darf man bezweifeln – ganz abgesehen von der Frage, ob die Verwendung solcher Konstrukte in Gesetzen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine genügende inhaltliche Klarheit gesetzlicher Rege- lungen genügt, wie sie sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ergeben.
Als einzig diskutabel erweisen sich damit alle die Überle- gungen, die im Rahmen der parlamentarischen Beratun- gen über eine Ersetzung des Begriffs „Rasse“ im Grund- gesetz durch andere Formulierungen vorgebracht wer- den.
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Diese Vorschläge zielen überwiegend in die Richtung ei- ner Streichung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz, unter- scheiden sich aber in Nuancen, wodurch denn der Begriff ersetzt werden soll. So hatte sich die Bundesregierung zu- nächst darauf verständigt, in Art. 3. Abs. 3 GG den Begriff „Rasse“ durch die Formulierung zu ersetzen, niemand dür- fe „aus rassistischen Gründen“ benachteiligt werden. Da- von weichen die Vorschläge der Fraktionen der Linken (vgl. BT-Drucks. 19/20628) und von Bündnis 90/Die Grünen (vgl. BT-Drucks. 19/24434) insofern ab, als sie den Begriff „Ras-
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