Page 14 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 IM FOKUS NDV 4/2022
Katrin Grüber:
Menschen mit hohem Unterstützungs- bedarf bei der Umsetzung des BTHG berücksichtigen
Im Diskurs um die Umsetzung des BTHG fehlt die Perspektive von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf weitgehend. Der folgende Artikel soll Anregungen dafür geben, wie die Perspektive stärker als bisher berücksichtigt werden kann. Normative Grundlage ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die deutlich macht, dass alle Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft“ haben. Sie gilt also unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung und damit auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf.
1. Menschen mit hohem Unterstützungs- bedarf
1.1 Definition
Mit dem Begriff „Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf“ soll deutlich gemacht werden, dass es sich um Personen han- delt, die in hohem Maße auf Unterstützung angewiesen sind – in der Regel ein Leben lang. Es handelt sich dabei um Men- schen, die erhebliche kognitive und zusätzliche andere Ein- schränkungen haben, insbesondere in Bezug auf die Kommu- nikation und das emotionale Erleben. Bei einem Teil dieser Menschen resultiert der hohe Unterstützungsbedarf aus ih- rem Verhalten, das von der Umgebung als herausfordernd de- finiert bzw. wahrgenommen wird. Nicht wenige von ihnen ha- ben einen hohen pflegerischen Unterstützungsbedarf.
1.2 Heterogenität der Gruppe
Es gibt nicht den Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, sondern große Unterschiede. Während die einen aktiv an ge- meinsamen Aufgaben in einer Gruppe mitwirken können, sind andere nur anwesend und nehmen wahr. Während die einen lautsprachlich kommunizieren oder sich mit der Unterstütz- ten Kommunikation verständigen können, sind andere darauf
angewiesen, dass ihre engsten Bezugspersonen ihre Reakti- onen wahrnehmen, interpretieren und daraus Wünsche und Bedürfnisse ableiten. Für sie erfolgt Selbstbestimmung und Teilhabe „in kleinsten Bereichen“ (Delgado 2018, 50), bei Pfle- gehandlungen oder beim Essen. Selbstbestimmung und Teil- habe sind also für alle wichtig, können aber Unterschiedliches bedeuten.
1.3 Gemeinsamkeiten
Jenseits der Unterschiede auf der individuellen Ebene gibt es wichtige Gemeinsamkeiten auch mit anderen Menschen. Ihre Bedürfnisse nach Kommunikation, sozialer Interaktion, Ab- wechslung, Freude oder gemeinsamen Angeboten sind ver- gleichbar (vgl. Bienstein/Sarimski 2017). Es ist allerdings für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf aufgrund ver- schiedener Barrieren wesentlich schwieriger als für andere,
  Dr. Katrin Grüber
ist Leiterin des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft gGmbH, Berlin.
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