Page 42 - NDV 08/2021
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 AUSDEMDEUTSCHENVEREIN NDV 8/2021 und es hierfür am Markt keine sach- lichen Gründe gebe. Ein solcher sach- licher Grund könne der Ausgleich von Rückständen von Arbeitsentgelten dar- stellen, um der Gefahr der Abwerbung guter Kräfe durch Konkurrenzunter- nehmen vorzubeugen. Auch eine be- sondere Bezahlung in Anbetracht be- sonders guter Leistungen und oder eines besonderen beruflichen Ein- satzes komme in Betracht. Sei ein solch rechtfertigender Grund aber nicht ersichtlich, so bestehe keine Ver- pflichtung, derartige Zahlungen im ex- ternen Vergleich ohne Weiteres in vol- ler Höhe bei der Festsetzung der Ver- gütungen zu berücksichtigen. Das gelte auch für Vereinbarungen in sog. „Haus- tarifverträgen“ oder ähnlichen Fall- gestaltungen, wenn diese vergleichbare tarifliche und/oder ortsübliche Entgelte deutlich übersteigen würden. Es gebe keinen „Freibrief“, auf Kosten der Ver- sicherungsträger und der Versicherten, jedwede Gehaltserhöhung zu verein- baren, auch wenn dies auf Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung beruhe. Von Sondersituationen abgesehen, komme eine Kürzung von Personalauf- wendungen im externen Vergleich nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2013,B3P2/12R). 9. Das LSG Chemnitz hat hinsicht- lich der Vergütungsfestsetzung in der Sozialhilfe entsprechend geurteilt. Im Falle einer Tarifbindung käme nur ausnahmsweise eine Kürzung der Personalaufwendungen in Betracht. Die Tarifbindung genieße im externen Ver- gleich einen besonderen Stellenwert. Seien etwa überdurchschnittlich hohe Personalaufwendungen maßgeblich auf die Häufung individueller tarifrecht- licher Entgeltsteigerungstatbestände wie Familienstand, Kinderanzahl oder Beschäfigungsdauer zurückzuführen und die Reduzierung der Personal- kosten rechtlich und tatsächlich aus- geschlossen, scheide eine Kürzung der plausiblen Personalaufwendungen im Wege des externen Vergleiches aus. Sinn und Zweck der Beachtung einer tariflichen Bindung bei der Ange- messenheitsprüfung sei es, eine Ver- gütungsspirale nach unten zulasten der Qualität der Leistungen zu ver- meiden, was sozialhilferechtlich dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit ent- spreche. Überdurchschnittliche Ent- geltzahlungen bedürfen nicht regel- haf einer besonderen Rechtfertigung, um in voller Höhe berücksichtigt zu werden. Nur im Fall eines extremen Ausreißers sei eine Angemessenheits- prüfung durchzuführen, bei der sach- liche Gründe für die Lohn- bzw. Ge- haltshöhe darzulegen seien (vgl. LSG Chemnitz, Urteil vom 10. Juni 2015, L 8 SO 58/14 KL; LSG Chemnitz, Urteil vom 1. April 2015, L 8 SO 86/12). 10. Eine den §84 Abs.2 Satz 5 SGB XI und § 75 Abs. 2 Satz 13 SGB XII ent- sprechende Regelung findet sich im SGB VIII nicht. Allerdings ist der Begrif des leistungsgerechten Entgelts dem § 93 Abs. 2 BSHG (jetzt § 75 SGB XII) entnommen worden (vgl. Banafsche 2015, Rdnr. 14). Das spricht dafür, die klarstellende Regelung des § 75 Abs. 2 Satz 13 SGB XII hier zu berücksichtigen (Gottlieb 2018, Rdnr. 10). Sowohl im steuer- als auch im beitragsfinanzierten Bereich existieren nunmehr entspre- chende Regelungen, die auch im Be- reich der Entgeltvereinbarungen im SGB VIII Berücksichtigung finden soll- ten. Eine gesetzgeberische Klarstellung im SGB VIII wäre insofern wünschens- wert. 11. Durch die Anerkennung der Tarifver- träge soll zum einen der Wettbewerb nach unten auf Kosten der Fachkräfe eingedämmt werden und in Zeiten von Fachkräfemangel, in denen es schwie- rig ist, entsprechende Bewerber zu fin- den, hier ein Anreiz geschafen werden, eine Tätigkeit in dem jeweiligen Bereich aufzunehmen. Dabei ist davon auszu- gehen, dass Tarifverträge grundsätz- lich eine zwischen Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen ausgleichende Funktion erfüllen und zu ausgewogenen bzw. leistungsgerechten Ergebnissen führen. Die Eingruppierung der Ge- hälter in Tarifverträgen spiegelt dabei immer auch den gesellschaflichen Stellenwert und die Wertschätzung der Arbeitsleistung wieder. Es stellen sich die Fragen, was Bildung, Erziehung und Betreuung wert sind, welche Qualität erwartet wird und was die Arbeitgeber bereit sind, dafür zu bezahlen (vgl. GEW 2006, S. 4). 12. Den Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung ein weiter Ge- staltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, so- weit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betrofenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Da- rüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspiel- raum hinsichtlich der inhaltlichen Ge- staltung der Regelung. Selbst die Ge- richte dürfen nicht eigene Gerechtig- keitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Ko- alitionen setzen. Die Tarifvertrags- parteien sind nicht verpflichtet, die je- weils zweckmäßigste, vernünfigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getrofene Re- gelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (vgl. BAG vom 19. Dezember 2019, 6 AZR 563/18). Die kurzen Lauf- zeiten von Lohn- und Gehaltstarifver- trägen ermöglichen eine Teilnahme an den wirtschaflichen Entwicklungen. Da die Entgeltvereinbarungen prospek- tiv sind (vgl. § 78d Abs. 1 SGB VIII), be- steht die Gefahr, dass die Entgelte bei Lohnkostensteigerungen infolge neuer Tarifabschlüsse nicht kostendeckend sind. Insofern sollten Laufzeiten ent- sprechend festgelegt werden (Telscher 2020, Rdnr. 38). Eine Neuverhandlung während des laufenden Zeitraums kommt nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. § 78d Abs. 3 SGB VIII). 13. Die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene schließen mit den Ver- bänden der Träger der freien Jugend- hilfe und den Vereinigungen sonsti- ger Leistungserbringer auf Landes- 426 


































































































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