Page 35 - NDV 08/2021
P. 35

 NDV 8/2021 AUSDEMDEUTSCHENVEREIN entsprechende Studien mit Blick auf ihre Verfassungsmäßig- keit belegt werden.41 Lösungsvorschlag Der Gesetzgeber hat das Sanktionsrecht umfassend zu re- formieren.42 Die konkreten Vorgaben des BVerfG43 sind umzu- setzen (z.B. Wegfall/Begrenzung der Sanktionen bei nachträg- licher Verhaltensänderung und in Härtefällen). Darüber hinaus plädiert der Deutsche Verein mit Verweis auf den langjährigen Forderungskatalog44 dafür, ▶ die Sonderregelungen U25 abzuschafen,45, ▶ Leistungsminderungen auf 30 % des Regelbedarfs zu be- grenzen,46, ▶ das Antragserfordernis für ergänzende Leistungen, ins- besondere bei Bedarfsgemeinschafen mit Kindern und Jugendlichen abzuschafen, ▶ die Sanktionen bei Meldeversäumnissen hinsichtlich der Dauer zu flexibilisieren und ▶ eine Härtefallregelung zu schafen. E. Gemeinsame Vorschrifen für Leis- tungen 1. Nullfestsetzung § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II Problemdarstellung Nach § 41a Abs. 3 SGB II wird für Monate, in denen bei end- gültiger Leistungsentscheidung – mangels Mitwirkung – nicht rechtzeitig von den Leistungsberechtigten der Anspruch nach- gewiesen wurde, auf Null festgesetzt (sog. Nullfestsetzung). Kann nach dem materiellen Recht für die einzelnen Monate des Bewilligungszeitraums nur einheitlich über den Leistungs- anspruch entschieden werden, ist die Leistung gegebenenfalls für den gesamten Bewilligungszeitraum abzulehnen.47 Die Gründe für die nicht rechtzeitige Mitwirkung sind vielfältig, je nach Komplexität der Nachweise.48 Mittlerweile gibt es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Nachreichung von Unterlagen erheblich diferierende Rechtsaufassungen49. Das erschwert die Verwaltungspraxis und wirkt sich auf die Rechtssicherheit aus.50 Dabei bleibt in der Praxis die Frage ofen, wie weit die Nach- weispflichten gehen. Ist also eine Festsetzung „auf Null“ be- reits gerechtfertigt, wenn nicht alle Nachweise zu Betriebsein- nahmen und –ausgaben eingereicht wurden, oder nur dann, wenn noch nicht einmal die Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (Anlage EKS) ausgefüllt wurde? Um- stritten ist weiter, ob eine Nachholung der Mitwirkung noch im Klageverfahren erfolgen kann. Dasselbe gilt für die ebenfalls streitanfällige Frage einer Nachholung der Mitwirkung im Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGB X. Die Vorschrif des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II kann im Einzelfall zu unbilligen Ergebnissen führen, da sie unabhängig von der Höhe des zu erwartenden Einkommens bei fehlendem Nach- weis die Feststellung nach sich zieht, dass ein Leistungsan- spruch nicht besteht. Ist aber das Einkommen aus Selbst- ständigkeit auch aus den vorigen Bewilligungszeiträumen er- kennbar weit entfernt von einer Bedarfsdeckung oder fehlt es im konkreten Zeitraum nur an dem Nachweis der Betriebsaus- gaben, greif die Vermutung, es habe (ggf. sogar für eine mehr- köpfige Bedarfsgemeinschaf) gar kein Leistungsanspruch be- standen, erheblich in das Existenzminimum ein. Die bis zum 31. Juli 2016 geltende Regelung des § 3 Abs. 6 Alg II-V, die bei fehlender Mitwirkung im Rahmen der endgültigen Leistungs- bewilligung eine Schätzung des Einkommens vorsah, stellte die sachgerechtere Lösung dar. Lösungsvorschlag Um unbillige Ergebnisse sowie langwierige Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schafen, spricht sich der Deutsche Verein für die Streichung 41 BVerfG, Urteil vom 5. November 2019, 1 BvL 7/16, Rdnr. 193: „Wenn sich dies tragfähig belegen lässt, mag der Gesetzgeber zur Durchsetzung wiederholter Pflichtverletzungen im Ausnahmefall auch eine besonders harte Sanktion vorsehen.“ 42 Berlit: Paukenschlag mit Kompromisscharakter II – das Sanktionenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019, info also, 2020, S. 4. 43 Vgl. BVerfG (Fußn. 40), Rdnr. 218 f. 44 mpfehlungen des Deutschen Vereins zur Reform der Sanktionen im SGB II (DV 26/12) vom 11. Juni 2013, NDV 2013, 289 f.; vgl. zuletzt NDV 2019, 529 f. 45 Das BVerfG hat mit seiner ntscheidung ausdrücklich nur über die Verletzung von Mitwirkungspflichten der über-25-jährigen erwachsenen Leistungsberech- tigten entschieden. Der Deutsche Verein fordert seit vielen Jahren die Abschafung der besonderen Sanktionsregelungen für U-25-jährige. Gleichzeitig würde sich ein einheitliches System der Leistungsminderungen für sämtliche Altersgruppen verwaltungsvereinfachend auswirken. 46 Damit wäre auch die langjährige Forderung des Deutschen Vereins, die Kosten der Unterkunf von Sanktionierungen auszunehmen, erfüllt, da es bei einer generellen Begrenzung der Kürzungen auf 30 % des Regelbedarfes nicht mehr zum Wegfall des Bedarfes für Unterkunf und Heizung kommt. 47 Vgl. BT-Drucks. 18/8041, S. 53. 48 Beispielsweise hängen manche Mitwirkungshandlungen auch von komplexem steuerrechtlichen Zuarbeiten ab, die aus unterschiedlichen Gründen von den Leistungsberechtigten nicht erbracht werden können. 49 So wird z.T. vertreten, dass Unterlagen bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nachgereicht werden können: BSG, B 4 AS 39/17 R, zit. nach juris, a. A. auchnochimGerichtsverfahren:Wrackmeyer-Schoene: xistenzsicherungsrecht,3.Aufl.,2019,Rdnr17m.w.N. 50 Vgl. BSG, B 4 AS 39/17 R, zit. nach juris. 419 


































































































   33   34   35   36   37