Page 27 - NDV 08/2021
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 NDV 8/2021 IM FOKUS Kommentar zum Fachartikel „Wie geht es nun weiter mit der Frauenhausfinanzierung?“ In dem Bericht von Dr. Peter Szynka, NDV 6/2021, über die Schwierigkeiten der Politikmitgestaltung der Verbände – die Frauenhauskoordinierung (FHK) und die Zentrale Informations- stelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) – zur Frauenhausfinanzie- rung wird der Eindruck erweckt, dass vor allem diese den Pro- zess hin zu einer bundeseinheitlichen Regelung zur Finanzie- rung von Frauenhäusern verhindern. Der folgende Kommentar beschränkt sich auf die Punkte 3. und 4. des Berichts. Es stellt sich die Frage, warum es so schwierig ist, in diesem Arbeitsfeld Lobbyarbeit zu machen und Politik mitzugestalten. Liegt es tatsächlich an den unterschiedlichen Herangehens- weisen von FHK und ZIF, zu einer Lösung beizutragen, oder liegt der Kern des Problems ganz woanders? Im Artikel wird be- hauptet, dass das „Gutachten erst im August 2020 vom BMFSFJ an die sinnvollerweise zu beteiligenden Verbände, also die FHK und die ZIF weitergegeben wurde, an den Deutschen Verein und wahrscheinlich auch dann erst an die Landesministerien“. Das hätten wir uns auch sehr gewünscht, war aber leider mit- nichten so. Die FHK erhielt das Gutachten trotz mehrfacher Nachfrage beim BMFSFJ zuerst aus einem Landesministerium zugespielt. Ofiziell erhielt die FHK das Gutachten am 28. August 2020 mit der Einladung zum 4. Fachworkshop zum Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ des BMFSFJ am 8. September 2020. Wir als Nichtregierungsorganisationen waren erfreut, überhaupt zum 4. Fachworkshop des BMFSFJ ein- geladen zu sein. Denn eine regelhafe Beteiligung am Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen“ des BMFSFJ war mit dem Argument nicht erfolgt, dass das BMFSFJ sich zu- nächst mit den Ländern und Kommunen auf Eckpunkte einigen wollte. Das sei schwierig genug. Die Möglichkeit einer Mitge- staltung war bislang auf dieser Ebene insofern nicht gegeben. Es ist richtig, dass FHK und ZIF unterschiedliche Lösungsvor- schläge zu einer besseren Infrastruktur und zu Instrumenten für einen gleichwertigen Zugang für alle von häuslicher und sexualisierter Gewalt Betrofenen entwickelt haben. Von einer Blockade kann nicht gesprochen werden, denn beide Organi- sationen loten in regelmäßigen Abständen ihre Positionen miteinander aus, nähern sich an, natürlich im Bewusstsein ihrer gesellschaflichen Rolle. Beide Organisationen sind sich einig, dass es eine bundesgesetzliche Regelung zur Finanzie- rung der Frauenhäuser geben muss, die allen schutz- bedürfigen Frauen mit ihren Kindern den Zugang ermöglicht. Es ist vielmehr so, dass es ohne den Druck der Fachorganisa- tionen vermutlich weder den Runden Tisch noch ein Positions- papier von Bund, Ländern und Kommunen gäbe. Die Fakten liegen seit Langem auf dem Tisch. Bereits 2012 wurde durch ein von den Wohlfahrtsverbänden in Aufrag ge- gebenes Gutachten von Prof. Wieland und Prof. Schuler-Harms geprüf, inwieweit der Bund verfassungsrechtlich in der Pflicht sei, verbindliche Strukturen für Schutz und Hilfe für von Gewalt betrofene Frauen und deren Kinder zu sorgen. Im Anschluss daran formulierte die FHK einen detaillierten Lösungsvor- schlag für einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe. Skanda- lös ist, dass jahrelang auf politischer und ministerieller Bundes- ebene keine wesentlichen Schritte erfolgten. Erst durch den Runden Tisch 2018 war erstmals erkennbar, dass das BMFSFJ konkret nach Lösungen sucht. Am 27. Mai 2021 veröfentlichte das BMFSFJ endlich ein mit den Ländern (bei einer Gegen- stimme und drei Enthaltungen!) und Kommunen abgestimm- tes Positionspapier, mit vielen wichtigen und richtigen Schrit- ten, aber mit Öfnungsklauseln für die Länder, die einem bundeseinheitlichen Rechtsrahmen wiederum entgegenste- hen. Es haben vor allem die Länder gegen das Positionspapier gestimmt, die an ihren derzeitigen Regelungen festhalten, allen voran Nordrhein-Westfalen, wo derzeit versucht wird, neue eigene Strukturen zu schafen. Auch die Kommunalen Spitzen- verbände verfolgen unterschiedliche Lösungen. Das Besondere an der Hilfeleistung Frauenhausaufenthalt ist, dass die Betrofenen auch räumlich Abstand von den Täter/in- nen brauchen und dazu regelmäßig Schutzeinrichtungen in an- deren Gemeinden oder gar Bundesländern in Anspruch neh- men müssen. Hierfür braucht es einheitliche Rahmenbedin- gungen und Voraussetzungen für die Hilfeleistung, die über Gemeinde- und Landesgrenzen hinweg aber nur möglich ist, wenn sie bundeseinheitlich geregelt ist. Dies gilt auch für den Aufbau der benötigten Schutzeinrichtungen: Ein bundesweites Hilfenetzwerk bedarf einer entsprechenden Rechtsgrundlage, die unabhängig von regionalen Prioritäten Beachtung und Um- setzung verlangt. Die FHK misst dem Aspekt, den Ländern Ge- staltungsspielraum einzuräumen, zwar Bedeutung zu, betont aber ausdrücklich, dass die bundesweit gleichwertige Durch- setzung von Grundrechten mit qualitativen Leistungen das Maß sein muss. Die Verwirklichung des Rechtsanspruchs für alle Be- trofenen setzt voraus, dass es eine flächendeckende bedarfs- gerechte Infrastruktur von Hilfeangeboten gibt. Der Ball liegt beim Bund und den Ländern, einen bundesweit einheitlichen Rahmen für eine bundesgesetzliche Regelung zu entwickeln. Weitere Untätigkeit geht zulasten gewaltbetrofener Frauen. Johanna Thie, Fachreferentin Hilfen für Frauen, Diakonie Deutschland, Vorstand Frauenhauskoordinierung e.V. 411 


































































































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