Page 37 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 NDV 4/2022 AUS DEM DEUTSCHEN VEREIN
Martina Erb-Klünemann und Melanie Kößler:
Die zivilrechtlichen Auswirkungen ei-
ner internationalen Kindesentführung
Teil 2: Sonderregelungen für grenzüberschreitende Kindesentführungen zwischen EU- Staaten nach der neuen Brüssel IIb-Verordnung
Dieser Beitrag knüpft an den in NDV 3/2022 erschienenen Aufsatz „Die zivilrechtlichen Auswirkungen einer internationalen Kindesentführung“ Teil 1 (S. 111 ff.) an und befasst sich mit den Sonderregelungen für Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesent- führungsübereinkommen innerhalb der EU (außer Dänemark).
Im ersten Teil des Beitrags „Die zivilrechtlichen Auswirkungen einer internationalen Kindesentführung“ (Erb-Klünemann/ Kößler 2022) sind die allgemein geltenden Regelungen des HKÜ dargestellt worden, die für Kindesentführungsfälle zwi- schen allen HKÜ-Vertragsstaaten gelten. Dieser Beitrag befasst sich nun mit den Sonderregelungen für Rückführungsverfah- ren nach dem HKÜ innerhalb der EU (außer Dänemark).
Wie bereits in Teil 1 erörtert, hat der EU-Gesetzgeber im Som- mer 2019 mit der Neufassung der Brüssel IIa-Verordnung, ge- nannt Brüssel IIb-Verordnung, eine wichtige Reform im Be- reich des europäischen Scheidungs- und Kindschaftsrechts verabschiedet (siehe Erb-Klünemann/Kößler 2021, 76 ff.). Für Verfahren, die ab dem 1. August 2022 eingeleitet werden, wird nicht mehr die Brüssel IIa-Verordnung, sondern die Brüssel IIb-Verordnung als neues europäisches Regelwerk angewandt (Art. 100 Abs. 1 Brüssel IIb-VO). Das Gesetz zur Aus- und Durch- führung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (IntFamRVG) als deutsches Durchführungsgesetz ist mit Gesetz vom 10. August 2021 infol- ge der Neufassung der Brüssel IIa-VO mit Wirkung zum 1. Au- gust 2022 bereits geändert worden.
Dieser Teil 2 konzentriert sich auf die neue Rechtslage unter Geltung der Brüssel IIb-VO, die für Rückführungsverfahren nach dem HKÜ innerhalb der EU (außer Dänemark) gilt, die ab dem 1. August 2022 eingeleitet werden.
1. Geltungsbereich der Sonderregelungen
Der EU-Gesetzgeber hatte bereits in der Brüssel IIa-Verord- nung und hat nun verstärkt in der Brüssel IIb-Verordnung Son- derregelungen getroffen, die für einzelne Aspekte grenzüber- schreitender Kindesentführung innerhalb des EU-Raums das HKÜ ergänzen (Erwägungsgrund 2 S. 2 Brüssel IIb-VO). Diese Vorschriften (insbesondere Kapitel III [Art. 22 ff.] Brüssel IIb- VO) finden in allen EU-Mitgliedstaaten (außer in Dänemark ) Anwendung (Erwägungsgrund 96 Brüssel IIb-VO) und gelten, wenn in einem an die Verordnung gebundener EU-Mitglied- staat die Rückführung nach dem HKÜ in einen anderen an die Verordnung gebundener EU-Mitgliedstaat beantragt wird. Da in einem Großteil der in Deutschland geführten Rückführungs- verfahren nach dem HKÜ die Rückführung in einen anderen EU-Mitgliedstaat beantragt wird, sind diese Sonderregelungen
 Martina Erb-Klünemann
ist Richterin am Amtsgericht Hamm und deutsche Verbindungsrich- terin im Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen sowie im Internationalen Haager Richternetzwerk.
Melanie Kößler,
LL.M., ist Referentin für den Internationalen Sozialdienst im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. sowie Rechtsanwältin.
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