Page 24 - Nachrichtendienst Nr. 4/2022
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 IM FOKUS NDV 4/2022
Wolfgang Wasel und Hanns-Stephan Haas
Buurtzorg – Revolution oder Restaura- tion eines (neo-liberalen) Arbeitsmo- dells
1. Buurtzorg – Enthusiasmus und Kritik
  Prof. Dr. Wolfgang Wasel
ist Vorstand der Stiftung Haus Lindenhof, E-Mail: wolfgang.wasel@haus-lindenhof.de
Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas
ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Stiftung Alsterdorf, Hamburg,
E-Mail: h.-s.@gmx.de
 Kaum ein Pflegemodell wird heute mit so viel Enthusiasmus diskutiert wie das Modell Buurtzorg (de Blok 2015; Kaloudis 2018a, 2018b; Wasel/Haas 2018, 2019). De Blok als „Vater des Modells“ und Vorstand der Stiftung Buurtzorg scheint den „Stein des Weisen“ bzgl. all unserer Probleme im Bereich der Pflege gefunden zu haben. Buurtzorg scheint das Fachkräf- teproblem, das Fluktuationsproblem, das Qualitätsproblem, das Finanzierungsproblem und eine Reihe anderer Probleme in der Pflege erfolgreich zu lösen und schafft eine Art „Gold- rausch“ in der Pflege (Kaloudis 2018a, 2018b; Wasel/Haas, 2018, 2019). Wer aber einen solchen Rausch auslöst, der muss mit Widerständen rechnen. Einer dieser Widerstände kommt, zunächst fast unerwartet, von Mitarbeitervertretungen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in Deutschland die Gewerk- schaftsvertreter die schärfsten Kritiker dieses Modells sind (Ver.di 2020). Dies mag auf den ersten Blick irritieren, da Buurt- zorg einige Zentralforderungen von Mitarbeitenden nach Mit- sprache, Autonomie und basisdemokratischen Strukturen ge- recht wird. Ihre Kritik entzündet sich an der Frage, ob es nicht ein verdeckt agierendes neo-liberales Arbeitsmodell ist, des- sen Erfolg auf der zeitlichen „Ausbeutung“ von Mitarbeitenden fußt (Peters/Sauer 2005). Dieser Fragestellung wollen wir in diesem Artikel nachgehen. Der Sinn dieser dialektischen Aus- einandersetzung ist, die positiven Effekte des Buurtzorg-Mo- dells mit der berechtigten Kritik der Mitarbeitervertretungen konstruktiv zu verbinden, um das erfolgreiche Modell von Bu- urtzorg mit den notwendigen (arbeitsrechtlichen) Rahmenbe- dingungen zu festigen.
2. Der Hype um Buurtzorg: Was wirkt?
Die im Fokus des Artikels stehende organisationstheoretische Einordnung ist Eyecatcher für Enthusiasten und Ärgernis für Gegner gleichzeitig. In dieser Diskussion spiegelt sich sowohl die Frage der nachhaltigen, modernen und erfolgversprechen- den (humanen) Unternehmensgestaltung nach Laloux (2014) als auch die Problematik der Entgrenzung von Arbeit bei teil-
autonomen Teams. Oder noch schärfer formuliert: Versteckt sich hinter der Humanisierung der Arbeitswelt der Moloch des Kapitalismus? Der Vorwurf steht im Raum, dass anstelle von Fremdausbeutung Selbstausbeutung tritt (Wagner 2005; Pe- ters/Sauer 2005).
Buurtzorg ist vermutlich das erfolgreichste Pflegemodell welt- weit (Buurtzorg 2020). Dies so vereinfacht zu formulieren, wi- derspricht einer objektiven wissenschaftlichen Perspektive, die scheinbar die nötige Distanz vermissen lässt. In Anbetracht der vorhandenen Datenlage (Kaloudis 2018a, 2018b; Wasel/ Haas, 2018, 2019) ist dies aber durchaus nachvollziehbar. Bu- urtzorg wirkt deshalb so überzeugend, da es geleitet von der Vision, Pflege neu zu denken, in eine Rechtsform mündet (Stif- tung), die in teilautonomen Teams Pflege selbstbestimmt handeln lässt (Buurtzorg 2020). Damit initiierte Buurtzorg ein Wachstumsprozess, der innerhalb von nur ca. 15 Jahren mit ca. 15.000 Mitarbeitenden zum größten Pflegeunternehmen in den Niederlanden wurde (Buurtzorg 2020). Fast noch interes- santer ist die herausragende Qualität der Pflege, die anschei- nend mit dieser Form des community nursing Modells erreicht wird (Alders 2015). Sowohl externe Prüfinstanzen wie auch zu Pflegende bescheinigen dem Unternehmen eine herausra- gende Qualität (Wasel/Haas 2018, 2019). Weitere wichtige Er-
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