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 AKTUELLES
NDV 12/2021
Interview mit Eva Welskop-Deffaa
Frau Welskop-Deffaa, wir gratulieren herzlich zur Wahl als neue Caritas-Prä- sidentin! Was bedeutet es für den Deutschen Caritasverband (DCV), dass an seiner Spitze erstmals eine Frau steht?
Die Delegierten des Caritasverbandes haben sich bei der Wahl der neuen Prä- sidentin zwischen drei qualifizierten Kandidaten und Kandidatin entschei- den können. Sie haben sich dabei von verschiedenen Abwägungen leiten las- sen. Verbandliche Erfahrung und sozial- politisches Profil waren sicherlich As- pekte, die für mich in die Waagschale fielen. Viele Delegierte haben aber auch ausdrücklich die Chance gesehen, die Geschicke des Verbandes in die Hände einer Frau zu legen. 80 % der Beschäftig- ten der Caritas sind weiblich. Und auf dem Synodalen Weg, dem Reformpro- zess der katholischen Kirche, geht es we- sentlich darum, wie in einer Kirche, die die Weihe Männern vorbehält, Frauen umfassender an Leitung und Verantwor- tung teilhaben können. Ich sehe in mei- ner Wahl daher ein starkes kirchenpoliti- sches Signal.
Skizzieren sie kurz die größten Heraus- forderungen, mit denen Sie und der Deutsche Caritasverband sich in den kommenden Jahren auseinanderset- zen müssen.
Die größten Herausforderungen sind ty- pischerweise die, die man nicht kennt. Unter den Aufgaben, die ich auf uns zu- kommen sehe, möchte ich drei hervor- heben:
1. Welch große Gefahren für die inter- nationale Solidarität die Pandemie darstellt, erkennen wir erst nach und nach. 186 Staaten haben im vorigen Jahr an ihren Grenzen Einreisebe- schränkungen ergriffen, um das Vi-
rus zurückzudrängen. Wir sehen mit Schrecken, dass nach gleichem Mus- ter heute Menschen abgewiesen werden, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Impfstoff steht in Afrika völ- lig ungenügend für eine Erstimpfung zur Verfügung, während in Europa und Amerika die dritte Auffrischungs- impfung empfohlen wird. Als Caritas wollen und müssen wir nationalen und internationalen Zusammenhalt fördern.
2. Wohlfahrtsverbände sind die Feuer- wehr des Sozialen in der liberalen Ge- sellschaft. Mit den 700.000 haupt- und fast 500.000 ehrenamtlichen Mitarbei- tenden sind wir als Caritas immer da, wo es brennt. Das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt als Pro- fil unserer Arbeit zu stärken und die verlässliche Finanzierung des von uns gespannten Netzes sozialer Inf- rastruktur zu sichern, ist die nächste große Herausforderung.
3. Als Präsidentin des Caritasverban- des bleibt die digitale Transforma- tion eines meiner Herzensthemen. Vernetzt, souverän und responsiv – so haben wir den digitalstrategischen Rahmen der Caritas überschrieben. Ihn auszufüllen, netzpolitische Kom- petenz und das Datenmanagement im Verband weiterzuentwickeln – zum Wohle der Armen und Ausge- grenzten – das ist eine der Baustellen, um die ich mich kümmern will.
Welche – inhaltlichen und organisato- rischen – Schwerpunkte wollen Sie in den kommenden Jahren beim DCV set- zen?
Die Schwerpunkte folgen den Heraus- forderungen. Das entspricht dem We- sen sozialer Innovation. Die Caritas
Eva Welskop-Deffaa
ist Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes (DCV) in Freiburg
ist seit jeher Treiber sozialer Innova- tionen – angefangen vom Stromspar- check, dem Energie-Beratungsangebot für einkommensarme Haushalte, über die U25-Suizid-Peerberatung bis hin zu den Babylotsen, unserem präventi- ven Lotsenangebot Früher Hilfen in Ge- burtskliniken. Auch der Aufbau einer gemeinwohlorientierten OpenSource- Community für die Softwareentwick- lung unserer Online-Beratung folgt die- sem Anspruch einer sozialen Innova- tionskultur. Das ist ein ganz neues Feld der Solidaritätsstiftung, das wir mit gan- zer Kraft beackern müssen.
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